0023 - Bei Vollmond kommt das Monster
ziemlich resoluten und kompromisslosen Wesensart so ziemlich jeden Irren in die Reserve treiben zu können, falls er aufdringlich oder gar gewalttätig wurde.
Sie fragte sich nur, warum der Bursche hier Zuflucht suchte, statt schleunigst das Anstaltsgrundstück zu verlassen. Vielleicht wird er schon verfolgt, überlegte sie sich.
Er schnaufte und schob seine massige Gestalt über die Brüstung des offenen Fensters. Im Inneren des Raumes verharrte er.
Nicole zwang sich zur Gelassenheit. Wenn sie diesen Kerl durch einen Protestschrei hätte verjagen wollen, war es jetzt zu spät dazu.
Er befand sich schon auf dem Weg durch das Zimmer, würde sich bestenfalls der Tür zum Bad oder der Tür zum Flur zuwenden, schlimmstenfalls ihr selbst, auf keinem Fall aber wieder dem Fenster.
Er schlich am Fußende ihres Bettes vorüber. Sein Gesicht konnte sie immer noch nicht sehen. Aber sie stellte im Widerschein des fahlen Mondlichtes fest, dass er schulterlange Haare hatte und sie glaubte, seine Augen zu sehen. Immer noch ließ er eigenartige gutturale Laute hören.
Ein Schauer rann Nicole über den Rücken.
Dann war die Gestalt an der Tür zum Flur. Sie rüttelte leise daran, gleich darauf etwas heftiger. Vergebens. Es war abgeschlossen. Aus irgendeinem Grund brachte der ungebetene Gast nicht den nötigen Verstand auf, den Schlüssel umzudrehen.
Vielmehr wandte er sich ihr, Nicole Duval, zu.
Er blieb vor ihrem Bett stehen. Sie konnte vernehmen, wie sein Atem pfeifend ging. Auch den üblen Geruch, der von ihm ausging, nahm sie deutlich und mit Widerwillen wahr. Als er dann noch die Hand ausstreckte, um sie zu berühren, reagierte Nicole.
Sie langte nach dem Lichtschalter. Zum Glück befand er sich direkt am Kopfende des Bettes.
Die Zimmerlampe flammte auf. »So, mein Freund, jetzt ist aber Schluss!«, hatte Nicole sagen wollen, aber schon das erste Wort blieb ihr im Halse stecken. Denn was da mit rötlich glimmenden Augen in gebeugter Haltung vor ihr stand, jagte Nicole innerhalb eines Atemzuges das nackte Entsetzen durch den Körper.
Ein Monster, hämmerte es in Nicoles Hirn.
Das Monster ließ die Arme baumeln. Sein verunstaltetes Maul zuckte, und als es die Lippen auseinander zog, um ihr die scheußlichen Zähne und die blaue Zunge zu zeigen, platzte eine der Eiterbeulen auf der Gesichtshaut auf. Seine Fratze wirkte wie ein Kraterfeld, das sich laufend erweiterte.
Grunzend schüttelte das Monster seinen Schädel, hob die Pranken und bewegte die Finger, dass es in den Gliedern knackte.
Nicole löste sich aus ihrer Erstarrung. Sie bewegte sich so schnell zur Seite fort, dass der Zugriff des Monsters zu spät erfolgte. Seine Pranken grapschten in die leere Bettdecke – Nicole stand bereits neben dem Bett: halb nackt, fröstelnd und bleich vor Angst.
»Geh fort!«, zischte sie. »Verschwinde oder ich schreie!«
Das Monster gaffte sie an. Für einen Augenblick trat ein Ausdruck grenzenloser Verzückung in sein Gesicht; dann schleuderte es die Bettdecke zur Seite und stieß wieder die furchtbaren Laute aus. Seine blaue Zunge bewegte sich heftig zwischen den offen stehenden Lippen.
Schrei doch endlich! trommelte es in Nicoles Hirn.
***
Professor Zamorra war aufgestanden und an das Fenster des Arbeitszimmers getreten. Er hatte seine Pfeife angezündet. Schweigend paffte er den blaugrauen Rauch gegen die Scheiben.
Sanchini hatte sich in seinen Schreibtischsessel zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Aufmerksam lauschte er dem Dottore Angelo Silla, der sich in Eifer geredet hatte.
»… dies alles sind vernunftmäßige Erwägungen, die nur einen Schluss zulassen«, beendete er seine lange Gedankenfolge, »es gibt gar keine übersinnlichen oder okkulten Erscheinungen, Professor Zamorra.«
Zamorra drehte sich zu dem untersetzten blonden Mann um. »Wie soll ich Ihnen Dinge erklären, die sich außerhalb der Grenzen des Bewusstseins und damit auch der Vernunft abspielen, werter Dottore? Für so etwas muss man eben Gefühl haben – und die nötige Erfahrung. Wenn Sie gesehen hätten, was ich erlebt habe, würden Sie anders reden.«
»Mit anderen Worten: Wir müssen Ihre Argumentation akzeptieren, obwohl Sie uns keinen Beweis liefern können?« Silla rückte die Brille zurecht. Er hatte sich vorgebeugt und wartete gespannt, fast lauernd auf die Antwort.
»Sie müssen nicht«, erwiderte Zamorra ruhig, »kein Mensch ist gezwungen, mir zu folgen, sofern er nicht wirklich überzeugt ist. Meine selbst
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