008 - Das geheimnisvolle Haus
Zimmer.
»Drei Tage«, wiederholte er, als er nach Hause zurückging. Warum hatte Farrington so große Eile, das Mädchen zu verheiraten, und warum hatte er ausgerechnet diesen armen Journalisten als Gatten für sie ausgewählt?
Dieses Rätsel zu lösen, würde viel Arbeit und Mühe kosten.
Zwei der drei Tage waren Frank Doughton wie im Traum vergangen. Er konnte nicht an die Möglichkeit glauben, daß dieses Glück wirklich auf ihn wartete. In seine Freude mischte sich jedoch die bittere Erkenntnis, daß er eine Frau heiratete, die nicht den Wunsch hatte, mit ihm vereinigt zu sein.
Aber in seinem Optimismus und in dem Überschwang seines starken Gefühls sagte er sich, daß sie es noch lernen werde, ihn zu lieben. Er hatte ein unbegrenztes Zutrauen zu sich selbst und arbeitete hart in diesen Tagen, nicht nur an seinen Zeitungsartikeln; sondern auch an der Verwertung der Tatsachen, die er durch den Brief an den verstorbenen Tollington erfahren hatte. Alle Kirchenbücher hatte er durchgesehen, um die Frauen mit dem Namen Annie zu entdecken, die dort während der fraglichen Zeit eingetragen waren. Seine Nachforschungen wurden sehr erschwert, weil Hunderte solcher Frauen existierten. Dazu kam, daß verheiratete Frauen, die in gedrückten Vermögensverhältnissen lebten, nicht ihren wirklichen Namen angaben. Andererseits gab es Frauen, die in den Listen den Namen Annie führten, in Wirklichkeit aber ganz anders hießen.
Er hatte einen oder zwei Anhaltspunkte, denen er eifrig nachging. Im Augenblick mußte er aber diese Arbeit im Stich lassen und all seine Energie auf die wichtige Tatsache konzentrieren, daß er in Kürze heiraten wollte. Außerdem hatte er eine Serie von Artikeln abzuliefern und mit fieberhaftem Fleiß an ihrer Fertigstellung zu arbeiten.
Zwei Abende vor seiner Hochzeit hatte er den letzten Artikel in die Redaktion am Themseufer gebracht und dem Herausgeber persönlich überreicht.
Dieser gratulierte dem verlegenen jungen Mann lächelnd.
»Ich vermute, daß wir nun lange auf Artikel von Ihnen werden warten müssen?« sagte er beim Abschied.
»Meine Frau wird sehr reich sein«, erwiderte Frank ruhig, »aber das wird keinen Einfluß auf meine Tätigkeit haben. Ich habe nicht die Absicht, einen Pfennig von ihrem Vermögen anzunehmen.«
Der Redakteur klopfte ihm auf die Schulter.
»Da haben Sie recht«, stimmte er ihm zu. »Der Mann, der sich von dem Einkommen seiner Frau ernähren läßt, hat aufgehört zu leben.« »Das klingt ja fast wie eine Grabschrift«, sagte Frank.
Es war neun Uhr, als er die Treppe des Gebäudes hinunterging. Er hatte noch nicht zu Abend gegessen und wollte in einem Restaurant in Soho noch eine einfache Mahlzeit zu sich nehmen, bevor er sich schlafen legte. Er hatte einen arbeitsreichen Tag hinter sich, und am nächsten Morgen gab es noch mehr für ihn zu tun.
Vor dem Zeitungsgebäude hielt ein hübsches Auto, dessen Lackierung im Licht der elektrischen Lampen glänzte. Frank wollte gerade daran vorbeigehen, als der Chauffeur ihn anrief.
»Entschuldigen Sie, mein Herr«, sagte er und faßte an seine Kappe, »sind Sie Mr. Doughton?«
»Ja, das ist mein Name«, erwiderte Frank erstaunt, da er den Mann nicht kannte.
»Ich habe den Auftrag, Sie abzuholen, mein Herr.«
»Warum denn - und zu wem?« fragte Frank verwundert.
»Zu Sir George Frederick«, sagte der Chauffeur respektvoll.
Frank kannte den Namen dieses Parlamentsmitglieds und versuchte, sich zu besinnen, ob er diesen Mann schon persönlich kennengelernt hätte.
»Aber warum soll ich denn zu Sir George kommen?«
»Er möchte Sie fünf Minuten sprechen.«
Es war kein Grund vorhanden, dieser Bitte nicht nachzukommen. Außerdem brachte ihn das Auto ein gutes Stück Weges, den er doch gehen mußte. Frank öffnete also die Tür des Wagens und stieg ein. Als er sie aber geschlossen hatte, fand er, daß er nicht allein war.
»Was hat das -«, begann er, als eine starke Hand ihn an der Kehle packte und auf den gepolsterten Sitz schleuderte.
Der Wagen fuhr langsam an, beschleunigte seine Geschwindigkeit aber immer mehr, als er am Themseufer mit dem Gefangenen entlangfuhr.
15
Lady Constance Dex erhob sich nach einer schlaflosen Nacht, die sie in dem Pfarrhaus von Great Bradley verbracht hatte. Sie ging hinunter und setzte sich zu ihrem Bruder an den Frühstückstisch. Der Reverend Jeremiah Bangley war durch ihr Erscheinen völlig verblüfft. Er war ein untersetzter, wohlwollend aussehender Mann, mit sich und der
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