01 - Ekstase der Liebe
nicht
finden. Wenn sie in den richtigen Farben gemalt waren, hatten Orangen einen
leichten Hauch von Braun am oberen Ende und Spuren von Blau: Farben, die nach
Sonne rochen, nach warmen Seen, nach echten Obstgärten und nicht nach langen
Fluren oder weißen Räumen.
Aber
Charlotte hatte nach ihrer Ankunft in Calverstill House am Albemarle Square
nicht viel Zeit zum Malen. Stunde um Stunde musste sie das Stoßen und Schubsen
der Näherinnen und endlose Tage der Planung mit ihrer Mutter über sich ergehen
lassen.
»Liebste«,
verkündete ihre Mutter. »Rittersporne!«
Charlotte
starrte sie an.
»Was
ist mit Ritterspornen, Mama?«, fragte sie schließlich.
»Rittersporne!
Das sind deine Blumen für den Ball! Ich habe mir schon den Kopf
zerbrochen ... Du weißt, ich habe Violettas Ballsaal mit Lilien geschmückt.
Wegen ihres Namens musste ich Farben vermeiden, aber Rittersporne haben so ein
wunderschönes Blau. Sie werden dein Haar wunderbar zur Geltung bringen.«
Zurzeit
waren blonde Frauen groß in Mode: Blonde Frauen mit Locken und blauen Augen.
Leider hatte Charlotte rabenschwarzes Haar, dachte ihre Mutter verzweifelt. Sie
hatte grüne Augen, aber ihre Haut war schneeweiß - nicht ein Hauch von
Farbe. Sicherlich, mit ein bisschen Nachhilfe ließ sich ihr Haar in
formvollendete Locken bringen und der zarte Teint ihrer Haut würde cremefarben
schimmern, und dennoch war sie keine süße, gefällige Debütantin. Ihre Augenbrauen
wölbten sich wie Fragezeichen über ihren Augen, die grün waren wie das Meer an
einem bewölkten Tag. Eigentlich sah ihr ganzes Gesicht aus wie ein einziges
Fragezeichen: Ihr Kinn bildete ein zartes Dreieck, das die Aufmerksamkeit
sofort wieder auf ihre Augen und diese hoch fliegenden Augenbrauen lenkte.
Die
Herzogin seufzte leise. War Charlotte glücklich, so war sie die Schönste ihrer
Töchter: Sie musste einfach dafür sorgen, dass sie ein glückliches Debüt hatte,
das war alles.
Während
der Anproben stand Charlotte völlig reglos da, schloss die Augen und
analysierte die Orangen, die vor ihrem inneren Auge erschienen. Vielleicht mehr
Rot. Vielleicht mit viel Rot beginnen und sich dann in Schichten zu Orange
zurückarbeiten?
»Charlotte!«,
sagte ihre Mutter. »Miss Stuart versucht gerade, deinen Saum zu kürzen. Bitte
dreh dich um, wenn sie es dir sagt.«
»Charlotte!
Ich habe dich zweimal gebeten; bitte hebe deine Arme.«
»Charlotte!«
Endlich waren die Anproben
vorüber und die letzten Perlen sorgfältig an das Kleid genäht, in dem Charlotte
sich präsentieren sollte. Siebzehn einer Herzogstochter würdige Ballkleider
wurden eingepackt und in den Schrank gehängt; die Rittersporne gediehen prächtig,
wie die Herzogin erleichtert zur Kenntnis nahm; zehn Lakaien wurden von
außerhalb herbeibefohlen; der Ballsaal glänzte, die Kerzenhalter blitzten, und
man hatte die Londoner Polizei über den zusätzlichen Verkehr benachrichtigt.
Einladungen wurden in Windeseile an Londons feine Gesellschaft verschickt. Und
Londons feine Gesellschaft nahm an. Die Herzogin mochte schüchtern sein, aber
sie war beliebt, einfallsreich und hatte Geld. Einen Ball der Calverstills
würde sich niemand entgehen lassen.
Und was
vielleicht am wichtigsten war, die jungen Männer nahmen die Einladung an, und
zwar alle - die Gecken, die Höflinge, die Galane, die Männer von Welt -
alle Gruppen und Cliquen, die die Londoner Gesellschaft ausmachten. Es ging das
Gerücht um, dass Charlotte schön sei (ihre zwei älteren Schwestern waren es),
und es war klar, dass sie eine großartige Mitgift erhalten würde, da die
Schatzkammern ihres Vaters gut gefüllt waren. Und es blieben noch immer zwei
Wochen bis zum Ball.
Deswegen
wurde Charlotte erlaubt, Julia auf dem Land zu .besuchen. Ihre Mama machte sich
darüber nicht allzu viele Sorgen.
»Charlotte,
du darfst dich nicht in der Öffentlichkeit zeigen; diese Zeit jetzt ist sehr
heikel«, sagte sie und strahlte ihre pflichtbewusste, wenn auch etwas abwesende
Tochter an.
War es
möglich, dass Charlotte an ihrem Debüt nicht sonderlich interessiert war? Nein,
nein, dachte die Herzogin: Sie sprach so gern über ihre Kleider und sie hatten
so viel Spaß dabei, sich die Seidenstoffe anzusehen. Charlotte verstand so viel
von Farben! Es durchlief sie eine Welle der Zuneigung für ihre jüngste Tochter,
die ihr nie Ärger oder Sorge bereitet hatte. Charlotte war vernünftig, ruhig
und zuverlässig.
Charlotte
wurde in der herzoglichen Kutsche zum Gut der
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