010 - Die weiße Hexe
jetzt mit ihr?«
»Wir bringen sie zu einem Arzt. Oder noch besser: in ein Krankenhaus.«
Ekenberry nickte. »Das ist wahrscheinlich das Beste.« Während Perkins in eine Asphaltstraße einbog, musterte Ekenberry die Ohnmächtige. Sie hätte ihm eine große Freude bereitet, wenn sie die Augen wieder aufgeschlagen hätte, denn dann hätte er gewußt, daß es ihr wieder etwas besser ging. Er fragte sich, ob es einen Sinn hatte, sie zu untersuchen. Wohl kaum. Er war kein Doktor. Er hätte nicht einmal feststellen können, ob sie sich etwas gebrochen hatte.
Seine Gedanken schweiften ab. Er dachte an Tony Ballard. Den mußten sie anrufen. Der Dämonenjäger würde sich bestimmt unverzüglich nach Death Stone begeben und diese grauenerregenden Erscheinungen stellen.
Ekenberry wäre gern so mutig wie dieser Tony Ballard gewesen.
Er bewunderte den Privatdetektiv.
Seine Gedanken kehrten zu der Ohnmächtigen zurück. Plötzlich vermeinte er, seinen Augen nicht trauen zu können.
»Bruce!« rief er überrascht aus.
»Ja?«
»Halt an.«
»Wir haben es eilig.«
»Jetzt nicht mehr.«
»Oda muß ins Krankenhaus.«
»Jetzt nicht mehr«, wiederholte Ian Ekenberry.
Das veranlaßte Bruce Perkins zu einer Notbremsung. Er trat kraftvoll auf die Bremse. Die Pneus quietschten und schmierten dicke schwarze Striche auf den Asphalt. Der Talbot stand auf kürzeste Distanz. Bruce Perkins drehte sich beunruhigt um.
»Ist sie… gestorben?« fragte er mit belegter Stimme.
»Sieh sie dir an«, verlangte Ian Ekenberry verdattert.
Perkins richtete sich auf und kniete sich auf den Fahrersitz, um das Gesicht des Mädchens besser sehen zu können. »Meine Güte, was hat das zu bedeuten?« fragte er perplex. »Oda weist ja gar keine Verletzung mehr auf. Ich sehe nicht den geringsten Kratzer mehr.«
»Ich auch nicht, Bruce. Sag, was du willst, da geht es nicht mit rechten Dingen zu. Weißt du, was wir tun?«
»Was?«
»Wir wenden uns an Tony Ballard.«
»Gute Idee«, sagte Perkins und nickte. »Ja, das tun wir.«
***
»Kennst du den Unterschied zwischen dir und der Karibik, Silver?«
fragte ich meinen Freund, den Ex-Dämon.
»Nein«, brummte der Hüne.
»Über der Karibik lacht die Sonne. Über dich die ganze Welt.«
Mr. Silver schaute mich gelangweilt an. »Erwartest du jetzt von mir einen Heiterkeitsausbruch?«
»War doch ein köstlicher Scherz«, sagte ich.
»Finde ich gar nicht. Sich auf anderer Leute Kosten zu amüsieren, ist unschön.«
Ich begab mich zur Hausbar und holte mir einen Pernod. Als ich mit dem Glas in der Hand zurückkehrte, setzte der Ex-Dämon seine übernatürlichen Fähigkeiten ein, um sich zu revanchieren. Er schob mit der Kraft seines starken Willens den Teppich vor meinem Fuß zusammen. Eine hohe Falte entstand. Ich bemerkte es nicht. Mr. Silver, dieser falsche Fuffziger, schaute mir treuherzig in die Augen, so daß ich keinen Argwohn schöpfte, und prompt stolperte ich.
Das kam für mich so überraschend, daß ich nach vorn fiel.
Der Pernod schwappte aus meinem Glas und klatschte gegen die Wand, während ich lang hinschlug.
Und jetzt brüllte der Ex-Dämon vor Lachen.
Ich erhob mich und bedachte den Hünen mit den Silberhaaren mit einem finsteren Blick. »Von wegen, sich auf anderer Leute Kosten zu amüsieren ist unschön!«
»Jetzt sind wir quitt«, stellte Mr. Silver fest. Er grinste mich breit an.
Es war das erstemal seit mehr als einer Woche, daß er wieder mal ein heiteres Gesicht zeigte, denn er hatte Sorgen. Wir alle hatten Sorgen. Mago, der Schwarzmagier, bereitete uns Kummer. Er war der Jäger der abtrünnigen Hexen, und Roxane, Mr. Silvers Freundin, war eine solche Hexe.
Schon einmal war Mago in London erscheinen, um sich Roxane zu holen. Er und seine widerlichen Schergen hatten es nicht geschafft, aber Mr. Silver hatte zweifelsfrei festgestellt, daß Mago sich erneut in der Stadt eingefunden hatte, und nun hing der Schwarzmagier wie ein Damoklesschwert über der Hexe aus dem Jenseits.
Wir mußten jederzeit mit einem Angriff rechnen.
Deshalb wich Mr. Silver seit Tagen nicht mehr von Roxanes Seite.
Mago sollte sie nicht kriegen.
Der Ex-Dämon hätte liebend gern den Spieß umgedreht und den Schwarzmagier fertiggemacht, aber so leicht war Mago nicht zu erwischen.
Vladek Rodensky, der eigentlich nach London gekommen war, um die neue Brillenkollektion, die seine Firma herausgebracht hatte, vorzustellen, war inzwischen nach Wien zurückgekehrt.
Mein Partner, der reiche
Weitere Kostenlose Bücher