0119 - Der Weiße Magier
verstand es, die Massen zu mobilisieren und in seinen Bann zu ziehen, denn er besaß die Ausstrahlung des Bösen.
»Vorerst jedoch werde ich den Versuch bei diesen beiden Frauen unternehmen«, sagte der Magier mit lauter Stimme. »Der uralte Zauber soll wieder aufleben. Voodoo ist nicht zu töten. Die Geheimnisse werden vererbt, und nur die Großen wissen sie zu nützen. Gebt mir die magischen Nadeln.«
Zwei Diener näherten sich ihm. Sie trugen eine Tasche aus Stoff, öffneten sie und hielten sie dem Weißen Magier hin.
Der griff hinein.
Atemlose Stille lag über dem Platz. Nur weiter entfernt lärmten die Tiere des Dschungels, auch das Rufen und Locken der Trommeln war verstummt.
Caligro nahm die erste Nadel. Sie war so lang wie der Unterarm eines Mannes und pechschwarz. Nur die Spitze vorn war rot, als wäre sie in Blut getaucht worden.
Der Magier ging auf die Puppe mit der blonden Perücke zu. Einen Schritt davor blieb er stehen.
Er hob den rechten Arm.
Die Menschen hielten den Atem an.
Die Spitze der Nadel wies auf den rechten Arm der Puppe. Ungefähr dort, wo sich die Innenseite des Ellbogens befand.
Dann ruckte der Arm vor.
Hart stach der Magier die Nadel in den Puppenarm.
Die nächste Nadel.
Die hieb er in den linken Arm der blondhaarigen Puppe. Dann nahm er sich die Beine vor, die Hände, die Füße, den Hals…
Schließlich war die Puppe mit den geheimnisvollen Voodoo-Nadeln gespickt.
Doch Caligro war noch nicht fertig. Er wandte sich der nächsten Puppe zu.
Auch sie spickte er mit den Voodoo-Nadeln.
Schließlich trat er zurück. Er drehte sich um und schrie seinen Dienern zu: »Tanzt, tanzt den Totentanz, damit die Leichen das werden, was sie früher einmal waren!«
Wieder rumorten die Trommeln.
Hektisch und dumpf hallten die Schläge über die Lichtung. Die Menschen bewegten sich im Rhythmus der Trommeln, sie wiegten ihre Körper, mal nach vorn, dann nach hinten, schließlich zur Seite, einmal rechts, einmal links.
Es war ein Zucken und Zittern, ein Stampfen und Klatschen nackter Füße. Man faßte sich an den Händen, bildete einen Kreis, tanzte um das Feuer und die beiden Särge herum.
Die Geister der Toten wurden beschworen, während Caligro auf die Knie gesunken war und sein Kopf hin- und herpendelte.
Schreckliche Laute stieß er aus, er rief die Kräfte des Jenseits.
Plötzlich verblaßte der Mond. Finsternis legte sich über die Lichtung, ein Windstoß fuhr vom Meer heran, griff wie mit Riesenfingern in das Feuer, teilte die Glut und warf die Funken weit über den Wald, wo sie als glühender Regen zwischen die Bäume fielen.
Und weiter hämmerten die Trommeln.
Eine schreckliche, makabre Melodie. Männer, Frauen und Kinder wurden in den Bann des Grauens gezogen. Sie gerieten in Ekstase, ihnen wurde nicht bewußt, was um sie herum vorging.
Manche schrien gellend auf, brachten sich mit ihren eigenen Fingernägeln Wunden bei.
Blut tropfte daraus hervor, berührte die Erde und verdampfte zischend. Der Grund und Boden war dem Bösen geweiht. Die Hölle hatte davon Besitz ergriffen.
Und die beiden Toten spürten die Kraft der Nacht. Die Finsternis war ihr Verbündeter. Sie kroch wie eine Schlange in ihre Leiber, um ihnen das andere, schaurige Leben zu bringen. Die magische Sphäre der Voodoo-Nadeln ging auf sie über und holte sie aus dem Totenzustand zurück.
Sie bewegten sich.
Zuerst hob die blonde Frau den rechten Arm. Sie knickte ihn ein, krümmte die Finger und stützte sich auf.
Da verstummten die Trommeln.
Auf der Stelle blieben die Menschen stehen.
Schweißnasse Gesichter waren den beiden Särgen zugewandt, und jeder sah, daß die beiden Frauen aus ihren Totenkisten stiegen.
Die Beschwörung war erfolgreich verlaufen…
***
»Wer bist du?« fragte ich den jungen Mann.
»Ich heiße Juan.«
»Und wo kommst du her?«
»Ich habe mich versteckt.«
Suko und Myxin waren stehengeblieben. Ich winkte sie zu mir.
Langsam schlenderten sie herbei.
Ich erklärte ihnen, was ich erfahren hatte, und Suko stellte die nächste Frage.
»Warum hast du dich versteckt?«
»Weil sie mich sonst töten würden.«
Wir warfen uns bedeutsame Blicke zu. Ich lächelte und reichte dem jungen Mann die Hand. »Mein Name ist John Sinclair«, sagte ich. »Laß uns Freunde sein.«
Zögernd schlug er ein. »Ihr seid fremd hier?«
»Ja.«
»Ich habe euch gesehen. Ihr hattet Glück, daß ihr nicht an den Klippen zerschellt seid. Aber was wollt ihr auf dieser Insel?«
»Einem Mann das
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