0121 - Horror-Urlaub
Oldörp.
»Es heißt, ein armes Mädchen hätte dort im Stall heimlich ein Kind zur Welt gebracht. Der Vater hätte es überrascht und die Tochter erschlagen, das Kind ins Feuer geworfen«, berichtete Oldörp. Er kannte alle Geschichten, die auf Anholt umliefen, und hatte sie gesammelt.
»Niemand war erstaunter als ich«, meinte der Däne, »als ich erkannte, daß in den Überlieferungen ein Körnchen Wahrheit steckte. Mittlerweile habe ich genug Material gesammelt, um alle Besserwisser überzeugen zu können. Sie werden mein unbestechlicher Zeuge sein, Professor Zamorra. Deshalb habe ich Sie nach Anholt gebeten!«
Zamorra nickte nur und setzte sich wieder in Bewegung.
»Gehen Sie nicht hinein!« bat Peer Oldörp verzweifelt. »Das bringt Unglück. Die weiße Dame rächt sich an denen, die ihr nachstellen. Sie werden mit Sicherheit angegriffen, wenn nicht getötet.«
»Das Risiko gehe ich ein«, entschied Zamorra.
Vorsichtig stieß er die Tür zurück.
Leise quietschten die Scharniere.
Zamorra konnte nichts erkennen.
Er trat in das Gebäude.
Es roch nach Moos und Schimmel. Das Holz war verwittert. Spinnen webten zwischen verstaubten Balken ihre Netze.
»Bleiben Sie stehen, Professor!« bat der Bürgermeister händeringend. »Der letzte, der es gewagt hat, war ein deutscher Tourist. Wir fanden ihn mit eingeschlagenem Schädel vor dem Stall.«
Zamorra antwortete nicht.
Es war ihm gleichgültig, daß der Däne stehenblieb und nicht wagte, ins Innere des Stalles einzudringen.
Der Boden bestand aus gestampftem Lehm.
Plötzlich ertönte ein leises Zischen wie von einer Schlange. Man mußte genau hinhören, um das feine Geräusch wahrzunehmen. Und doch klang es unheimlich, drohend, warnend.
Langsam hob Zamorra sein silbernes Amulett.
Er murmelte die Formel, um die Mordgespenster zu bannen. Er tat es viermal. Dann ging er weiter.
Da knisterte es über ihm zwischen den Dachsparren.
Zuerst glaubte Zamorra, ein Stück Ried habe sich gelöst. Bis er einen Schlag auf die Schulter bekam. Er schüttelte sich vor Entsetzen. Ein Nest mit verwesten Ratten war auf ihn gefallen.
Im Hintergrund aber ertönte spöttisches Lachen.
Ein Melkeimer flog durch die Luft.
Zamorra duckte sich.
Um ihn herum brach ein Höllenlärm aus.
Hiebe prasselten auf ihn ein, obgleich er niemanden entdecken konnte. Ein Tisch spielte verrückt. Er überschlug sich und polterte auf den Professor zu, wollte ihn zu Fall bringen. Ketten klirrten.
Zamorras Gegenmittel versagten einfach.
Er trat den Rückzug an. Zum erstenmal in seinem Leben mußte er auf halbem Wege stehenbleiben. Er stand vor einem Rätsel.
***
»Das Fräulein ist von dem Spaziergang nicht zurückgekehrt, oder?« fragte Godfred Fisker. Er saß mit seiner Frau auf der Veranda und frühstückte.
»Sie wird heimgekehrt sein, als wir bereits schliefen«, erwiderte seine Frau.
»Oder sie hat eine Urlaubsbekanntschaft gemacht und übernachtet auswärts«, grinste der Mann. Wind und Wetter hatten seine Haut gegerbt. Er sah sehr sportlich aus.
»Was du immer gleich denkst. Sie ist fast dreißig und Lehrerin. Hast du die Bücher gesehen, die sie mit sich schleppt? Das ist kein Flittchen.«
Er lachte. »Lehr du mich die Frauen aus der Stadt kennen! Aber was geht uns das an?«
Godfred Fisker ließ sich Kaffee nachschenken und zündete sich eine Zigarette an. Die Packung kostete in Dänemark zehn Kronen und mehr. Deshalb sah er es gern, wenn seine Gäste aus Deutschland bei der Überfahrt von Grena nach Anholt auf der Fähre zollfrei einkauften und ihn an ihrem Reichtum teilhaben ließen. Stammkunden kannten das.
Die Lehrerin allerdings verbrachte ihren Urlaub zum erstenmal auf der Insel. Anholt zog mehr jene Leute an, die auf Ruhe und Erholung Wert legten. Nachtleben gab es nicht. Die fünfundzwanzig Bewohner des Eilands, das im Kattegat liegt, gingen mit den Hühnern zu Bett. Ihr Leben verlief ruhig und solide. Sie haßten Eile und Streß, liebten die Natur und die Einfachheit.
»Ich werde mir mal die Reusen ansehen«, murmelte Godfred Fisker und stand auf. »Vielleicht habe ich ein paar Schollen erwischt. Die Deutsche kommt doch aus Hamburg. Sicher mag sie gern Fisch.«
»Ich glaube nicht, daß sie im Urlaub für sich allein kocht«, schüttelte Dagmar Fisker den Kopf. »Sie wird im Gasthof essen.«
»Wenn wir sie nicht einladen«, nickte der Mann.
Er setzte seine Schirmmütze auf, nahm Eimer und Kescher. Seine Füße steckten in Gummistiefeln. Bis zum Strand brauchte
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