0125 - Der Leichenbrunnen
Kopf.
Lionel Finch lächelte. »Wenn alles vorbei ist, gehen wir dann nach London?«
»Zusammen?«
»Von mir aus.«
»Ja, Lionel, ich gehe mit dir nach London. Was vor 300 Jahren nicht hatte sein sollen, möchte ich jetzt haben.«
»Sah ich damals schon genauso aus?« fragte der Anwalt.
»Möglich. Aber du hattest den gleichen Namen. Zufälle gibt es, das glaubt man gar nicht.«
»Es ist die Schicksalsfügung«, lächelte Lionel Finch. Er nahm das Mädchen in die Arme. Sekundenlang versank für die beiden die Welt, dann drückte Lionel Cora wieder von sich.
»Noch haben wir es nicht geschafft«, sagte er und verzog das Gesicht, weil er seine Hüfte gestoßen hatte. »Wir müssen zu den anderen.«
Das Girl nickte. Es widersprach auch nicht mehr. Gemeinsam schritten sie den Gang zurück.
Lionel ging vor, während sich Cora knapp hinter ihm hielt.
Sie hatten kaum den Reitstall verlassen, als Cora Bendix leise aufschrie.
Ein Skelett stand vor ihnen.
Es sah wie zuvor aus, in seiner wallenden langen Kutte. Der blaßgelbe Totenschädel grinste unter der Kapuze, und die Knochenfinger hielten das Gewehr umklammert.
Als der Unheimliche die beiden Menschen sah, hob er die Waffe an und richtete die Mündung auf Cora und Lionel.
»Kommt mit!«
Die beiden nickten.
Cora zitterte wie Espenlaub, während Lionel überlegte, wie er dem Skelett die Waffe entwinden konnte. Aber in seiner Verfassung schaffte er das nicht, der Gegner würde immer stärker sein.
Sie passierten die gräßliche Gestalt. Cora glaubte den Hauch des Todes zu spüren, der das Skelett umgab. Eine Gänsehaut rieselte über ihren Rücken.
»Ihr kennt den Weg?«
»Ja.«
»Dann geht zu den anderen. Aber gebt acht, ich werde schießen, wenn ihr euch falsch bewegt.«
Die Drohung war unmißverständlich. Beide Menschen dachten auch nicht im Traum daran, Widerstand zu leisten.
Mit zitternden Knien betraten sie die Gaststube. Hier sah noch alles so aus wie zuvor. Kein Feuer hatte gewütet, nichts war zerstört worden.
Aber auch dieses Haus hatten die Flammen eingeschlossen.
Durch die Fenster konnten Cora und Lionel die Flammenwand sehen.
Beiden fiel ein Stein vom Herzen, als sie die anderen Menschen sahen. Sie lebten.
Die Wirtsleute, Gavin Nesbitt und Fred McMillan. Allen stand die nackte Angst ins Gesicht geschrieben. Und Angst konnten sie auch haben, denn die beiden anderen Skelette hatten sich gut verteilt und hielten mit ihren Waffen die Menschen in Schach.
Sie hatten wieder am runden Tisch Platz nehmen müssen und die Hände auf die Platte gelegt.
»Geht zu ihnen!« grollte der Knochenmann hinter Cora und Lionel.
Die beiden steuerten den Tisch an. Sie wurden aus großen Augen angestarrt.
Lionel konnte sich nicht so glatt und sicher bewegen wie sonst. Er humpelte.
»Ist Ihnen was passiert?« Nesbitt stellte diese dumme Frage.
»Nein!« knirschte der Anwalt und nahm auf einem noch freien Stuhl Platz.
Cora setzte sich neben ihn und legte ihre Hand auf seinen Arm.
Ein Skelett – es war das, das Cora und Lionel in den Raum geführt hatte – stellte sich ans Fenster.
»Der wartet auf etwas«, wisperte Cora.
Lionel nickte.
Es wurde still. Niemand traute sich, ein Wort zu reden. Nur die Atemzüge der Gefangenen waren zu hören.
Minuten vergingen.
Lionel Finch schaute in die Gesichter seiner Mitgefangenen. Das Wirtsehepaar saß da, hielt sich an den Händen gefaßt und schaute stur zu Boden. Gavin Nesbitt zitterte. Seine dicke Unterlippe war in ständiger Bewegung. Dem Nebenmann, McMillan, rann der Schweiß in Strömen über das Gesicht. Er wagte jedoch nicht, die Hand zu heben und ihn wegzuputzen.
Auch Cora und Lionel spürten die Angst. Jeder von ihnen wußte, daß etwas geschehen würde.
Nur was und wann, das wußten sie nicht.
Plötzlich begann das Skelett an der Theke zu sprechen. »Ihr werdet sterben«, sagte er. »Ihr werdet alle sterben, und er wird euch töten, damit wir zurück in die Gräber können und endlich unsere Ruhe haben.«
Lionel faßte sich ein Herz. »Kommt Baxman?«
»Ja. Er müßte eigentlich schon unterwegs sein. Und er bringt seine Axt mit. Dieselbe Waffe, die er auch vor 300 Jahren besaß. Durch sie werdet ihr den Tod erleiden.«
Das waren harte Worte, und sie verfehlten die Wirkung nicht.
Gavin Nesbitt verlor als erster die Nerven. Da er ganz außen saß, sprang er hoch.
»Ich will aber nicht sterben!« stöhnte er. »Ich will nicht!«
»Reißen Sie sich zusammen!« schrie Finch.
»Nein, ich will
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