0145 - Turm der toten Seelen
man davon, wenn man sich mit den Dingern auskennt.«
***
Der Nebel löste sich im Laufe des Nachmittags auf. Hannah Salem witterte, daß sie in Gefahr war. Sie tobte durch den Leuchtturm, griff die Männer mehrfach an, schleuderte Stühle und Tische nach ihnen und versuchte, sie in raffinierte Fallen zu locken.
Aber all ihre Tücken halfen ihr nicht. Der Abend kam, und Zamorra und Krupa waren immer noch da.
Wie eine riesige Silberscheibe kroch der Vollmond über den Horizont. Für Zamorra und Krupa war es das herrlichste Schauspiel, das die Natur ihnen bieten konnte.
In dieser Nacht verspürte Hannah Salem zum erstenmal Angst. Sie hatte sich irgendwo hoch oben im Turm verkrochen und wimmerte dort, daß davon Steine weich werden konnten.
Um zehn Uhr stand der Vollmond so hoch, daß sein bleiches Licht durch die schmalen Fenster hereinflutete und das Gebäude mit seinem silbernen Schein übergoß.
Um elf gab Krupa seinem Freund einen Klaps auf die Schulter.
»Es ist soweit!« sagte er heiser. »Mach’s gut, Roy.«
»Mach’s besser, Zamorra.«
***
Während Professor Zamorra die Armbrust spannte, den geweihten Bolzen in die Abschußrinne legte und die alte Waffe zur Hand nahm, trat Roy Krupa aus dem Raum.
Draußen rief er Hannah Salem. Sie heulte irgendwo hoch oben wütend auf, aber sie kam nicht. Da begann Krupa, sie zu beschimpfen. Er wußte, womit er sie am schlimmsten beleidigen konnte. Und genau das brüllte er immer wieder. Seine Stimme hallte durch den leeren Leuchtturm. Krupa mengte in seine Flüche, Beleidigungen und Beschwörungen Wörter aus einer alten, ausgestorbenen Sprache. Und gerade sie waren es, die die Hexe am meisten reizten, sie geradezu zur Weißglut trieben. Ihr Geheul nahm zu. Sie kam näher.
Zamorra konnte ihre Stimme deutlich hören.
Roys Worte zeigten Wirkung. Er lockte sie aus der Reserve, machte sie mit seinen Schimpfkanonaden rasend.
Es dauerte eine volle Stunde, bis Roy Krupa sie so weit aus der Fassung gebracht hatte, daß es ihr gleichgültig war, wie groß die Gefahr war, in die sie sich begab. Sie wollte endlich Roy Krupas Tod.
Und sie erschien um Mitternacht mit Donnergrollen im Salon.
Ein schrecklicher Sturm umtobte sie. Ihr Anblick war so grauenerregend, daß Roy Krupa sich zusammennehmen mußte, um ihn zu ertragen. Sie stieß schaurige Laute aus. In ihren Augen glomm das Feuer der Hölle. Der Satan schien sie mit neuen Kräften ausgestattet zu haben. So drohend und so gefährlich hatte Krupa sie noch nie gesehen. Er hatte sie gereizt, wie sie noch nie gereizt worden war. Und nun war sie da, um ihn dafür zu bestrafen.
Er spürte die Gänsehaut, die seinen Körper bedeckte. Dicke Hagelkörner schienen durch seine Adern zu rollen. Er bebte vor Furcht und Erregung. Aber er wich keinen Schritt vor dieser scheußlichen Bestie zurück - im Gegenteil, er trat ihr sogar zwei Schritte entgegen.
Da blähte sie sich zu einem unförmigen Ding auf, das auf ihn zuraste. Ihre Arme schossen vor. Er warf sich zur Seite. Ihre Krallen erwischten sein Jackett. Es zérriß mit einem häßlichen Geräusch.
Hannah Salem schleuderte den Fetzen mit einem Triumphgeheul von sich. Und schon stürmte sie wieder auf Roy Krupa ein. Diesmal fügte sie ihm mehrere tiefe Kratzwunden am Arm zu. Als sie sein Blut sah, schrie sie voll Freude auf und wollte diesen Erfolg sogleich verdoppeln.
Aber da warf sich Roy Krupa nach vorn. Sein Körper prallte gegen den ihren. Er umschlang mit seinen bebenden Armen ihren Leib. Sie brüllte wütend auf, schnellte herum, wollte sich von ihm losreißen, aber er umklammerte sie so fest, wie er nur konnte.
Und er schrie mit schriller Stimme: »Jetzt, Zamorra! Schieß! Töte sie!«
Die schwarze Frau raste und schlug Krupa ihre scharfen Krallen in den Rücken.
Professor Zamorra preßte die Armbrust an die Schulter und drückte ab. Surrend vibrierte die Sehne. Das Geschoß bohrte sich in die Brust der schrecklichen schwarzen Frau.
Und plötzlich lebte das Bild wirklich.
Professor Zamorra traute seinen Augen nicht. Das grauenvolle Gesicht der Alten verzerrte sich. Ein höllischer Schmerz krümmte sie zusammen. Sie stieß einen schauerlichen Schrei aus.
Blut quoll aus ihrem Mund. Krampfartige Zuckungen befielen sie. Ihr Blick war in namenlosem Haß auf Zamorra gerichtet. Grüne Feuerzungen leckten über ihre bebenden, berstenden Lippen. Ihr Gesicht ging in Flammen auf.
Bald brannte ihr ganzer Körper.
Dort, wo der Armbrustbolzen in der Leinwand steckte,
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