034 - Der schwarze Hengst
Georg Arnod war unruhig und verkrampft. Immer wieder warf er einen Blick auf die Uhr. Er zuckte zusammen, als das Telefon läutete, und spürte so etwas wie Erleichterung. Jetzt war es endlich soweit.
»Ja«, meldete er sich mit sanfter Stimme.
Ein durchdringendes Lachen schlug ihm entgegen. Plötzlich standen Schweißperlen auf seiner Stirn, und er umklammerte den Hörer fester. Sein Handgelenk wurde weiß.
»Da bin ich wieder, Monsieur«, sagte die schrille Stimme. »Sie haben Ihr Versprechen nicht eingehalten, Arnod. Ich werde Ihnen weiterhin schaden. Capricorn muß mir gehören.«
Arnod schwieg. Nur sein rasches Atmen war zu hören.
»In einer halben Stunde werden Sie eine unangenehme Überraschung erleben, Monsieur Arnod. Aber dies ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was Sie erwartet. Ich wünsche Ihnen eine vergnügliche Nacht, Monsieur.«
Der unbekannte Anrufer hatte aufgelegt.
Keuchend ließ Arnod den Hörer fallen, dann wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Mit zitternden Händen zündete er sich eine dünne Zigarre an.
Seit dem ersten Januar verfolgten ihn die Anrufe des Unbekannten, der immer wieder drohte, daß er fürchterliche Rache üben werde, sollte Arnod sein Versprechen nicht einhalten, das er vor fünf Jahren gegeben hatte. Vor vier Wochen war es zum ersten Zwischenfall auf seinem Gestüt Haras de Longray gekommen. In einer der Stallungen war Feuer ausgebrochen, doch die Pferde konnten rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Danach war eine rätselhafte Seuche unter den Mutterstuten ausgebrochen. Vor einer Woche brach sich ein Deckhengst die Hinterbeine und mußte eingeschläfert werden.
Georg Arnod stand auf. Im Kamin knisterten die Holzscheite. Ein angenehmer Duft nach Kiefern durchzog den Raum. Das holzgetäfelte Zimmer war voll mit Pokalen und Siegestrophäen. Die Wände bedeckten Bücherregale, die mit Fachliteratur über die Vollblutzucht gefüllt waren. Dazwischen hingen Ölgemälde der berühmtesten Pferde, die klassische Rennen für Arnod und seinen vor sechs Jahren verstorbenen Vater errungen hatten.
Vor einem der Bilder blieb Arnod stehen. Er war ein mittelgroßer, schlanker, dunkelhaariger Mann, bei dem der mütterliche italienische Einschlag durchschlug.
Er sog an der Zigarre und stierte das Bild von Capricorn an, der in neun Rennen unbesiegt war. Im Gestütsbuch war seine Farbe als dunkelbraun angegeben, das resultierte aus dem alten Aberglauben, daß Rappen Todespferde seien. Capricorn, der vergangenes Jahr das Epsom Derby und den Prix de l'Arc de Triomphe gewonnen hatte, war ein Rappe, der keinerlei Abzeichen aufwies. Ein Pferd, das vom Teufel besessen war und seine Gegner in Grund und Boden lief. Ein für einen Vollblüter riesiger Hengst, der trotz seiner Größe perfekt gebaut war. Eine Rennmaschine, die alles andere als einen guten Charakter besaß. Capricorn war Menschen und Tieren gegenüber bösartig, und nur eine Handvoll der Stallburschen kamen mit ihm zurecht.
Arnod nahm den Pokal in die Hand, den er nach dem Epsom Derby erhalten hatte. Er drehte ihn kurz in der Hand herum, dann stellte er ihn auf seinen Platz zurück. Nachdenklich ging er im Zimmer auf und ab. Schließlich warf er die Zigarre in den Kamin, schlüpfte in eine Lederjacke und verließ das Zimmer.
Im Haus war es ruhig. Vor dem Herrschaftshaus blieb er stehen und blickte sich um. Es war eine warme, milde Winternacht. Der Vollmond tauchte die Gebäude in ein geheimnisvolles silbernes Licht. In einigen Stallungen brannte noch Licht. Der feine Kies knirschte unter seinen langsamen Schritten, als er sich einem der Gebäude näherte. Eine Taschenlampe flammte auf. Einer der Nachtwächter hatte ihn entdeckt.
»Guten Abend, Monsieur.«
Arnod nickte, dann betrat er den Stall. Im Zimmer neben dem Eingang saß ein Nachtwächter, der die Fernsehschirme nicht aus den Augen ließ. Sobald eine der Stuten sich seltsam bewegte und damit anzeigte, daß sie bald abfohlen würde, verständigte er den Tierarzt.
Das Interesse Arnods galt nur dem Bildschirm, der die Box von Ecuere du Loir zeigte. Die dunkelbraune Stute mit dem weißen Stern war die Mutter von Capricorn, und vergangenes Jahr hatte er sie in Maryland von Northern Dancer decken lassen. Soeben legte sie sich ins Stroh, die Brust und der Hals waren schweißbedeckt.
»Es ist soweit, Monsieur«, sagte der Nachtwächter und griff zum Telefon.
George Arnod betrat den mit Teppichen belegten Gang. Sein Herz schlug rascher. Vor der Box blieb
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