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035 - Das Wachsfigurenkabinett

035 - Das Wachsfigurenkabinett

Titel: 035 - Das Wachsfigurenkabinett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Davenport
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wurde ein bitteres Grinsen daraus. Der Scheinwerfer wechselte von Grün auf Blau.
    Miriam fixierte einen Punkt über der Bar. Ihr Gesicht war noch immer zu einem Grinsen verzogen. »Zieh dich aus, Puppe!« grölte wie immer Henry, der hinter der Bar stand.
    Sie konnte die Gesichter der Männer nicht erkennen; sie wollte sie auch gar nicht sehen.
    Miriam öffnete ihr knallrotes Kleid und bewegte sich dabei aufreizend. Diese Nummer führte sie seit einem halben Jahr vor; jeder Schritt, jede Bewegung, alles war Routine. Sie schlüpfte aus dem Kleid. Der Scheinwerfer wechselte alle zehn Sekunden die Farbe.
    Und dann erwachte der Scheinwerfer auf einmal zu Leben und griff nach ihr. Sie trat rasch aus dem Lichtkreis heraus, doch er folgte ihr.
    Nicht, bitte nicht! dachte sie. Nicht schon wieder!
    Sie schloß die Augen, doch nichts änderte sich. Der Lichtstrahl packte sie und wollte sie hochziehen. Sie kämpfte dagegen an. Schweiß perlte auf ihrer Stirn.
    »Das ist mal was Neues«, hörte sie eine brutal klingende Stimme. »Schau mal, wie sich die Puppe bewegt!«
    Jetzt kam so etwas wie Stimmung auf. Henry, der hinter der Bar stand, sah das Mädchen fasziniert an. Die zieht ja eine neue Nummer ab, dachte er. Als würde sie sich gegen etwas wehren. Wie sie sich windet! Gar nicht schlecht.
    Unsichtbare Arme griffen nach dem Mädchen.
    »Nein«, schrie sie. »Nicht!«
    Das Publikum sah interessiert zu, wie sich das Mädchen gegen den unsichtbaren Feind auflehnte. Ein Träger ihres Büstenhalters war verrutscht und die Brustspitze lugte hervor. Sie ging und tanzte wie in Trance und versuchte verzweifelt, dem Scheinwerfer zu entkommen.
    Der rote Vorhang, der die Bühne abschloß, begann sich zu bewegen. Seltsame Gestalten erschienen darauf, Fratzen, die nach ihr schnappten, Mäuler, die spitze Zähne entblößten, die immer länger und furchtbarer wurden.
    Miriam schrie wieder auf, und plötzlich war der Spuk vorbei.
    Ihr Körper war schweißgebadet. Für Sekunden stand sie regungslos mitten auf der Bühne, dann setzte sie ihr Programm fort. Ihre Hände zitterten, als sie den Büstenhalter löste, sich dem Publikum zuwandte und die Hände von ihren nackten Brüsten nahm.
    Sie zog ihre Nummer blitzschnell ab und raste hinter die Bühne. Schwer atmend blieb sie stehen. »Das war gar nicht schlecht«, sagte Max grinsend. »So ist deine Nummer viel besser. Mach das immer!«
    Miriam nickte schwach und ging in die Garderobe. Sie setzte sich und legte den Kopf auf den Schminktisch. Es war ihr unerklärlich, was mit ihr los war.
    Ich muß zu einem Arzt gehen, sagte sie sich. Ich werde sonst noch wahnsinnig. Überall sah sie seltsame Dinge, Gegenstände verwandelten sich, in jeder Ecke lauerten Schatten, die nur darauf warteten, sie zu verschlingen.
    Sie schlüpfte in ihr Kleid und stand auf. Ihr Blick fiel in den Spiegel, und sie erstarrte. Sie trat einen Schritt näher. Der Spiegel warf ihr Bild nicht zurück. Es war, als wäre sie unsichtbar geworden. Sie sah ihr Kleid, den Ring, den sie an der linken Hand trug, doch ihr Gesicht und die Hände waren nicht zu sehen.
    Ich bin verrückt, sagte sie sich. Das kann es einfach nicht geben. Sie trat noch näher heran und preßte beide Hände gegen den Spiegel. Das Bild änderte sich nicht. Sie war unsichtbar. Aber nur im Spiegel! Sie selbst konnte ihre Hände sehen.
    Und dann spürte sie den Sog, der sie in den Spiegel zerren wollte. Ihre Hände verschwanden in der glatten Fläche.
    Eiseskälte umfing sie.
    Sie ließ sich rückwärts zu Boden fallen und stand dann schwer atmend wieder auf. Ihre Hände waren blaugefroren und völlig steif. Der Sog war noch immer zu spüren. Ein eisiger Lufthauch wehte aus dem Spiegel und griff nach ihr.
    Miriam sprang auf und rannte hinaus. Sie ließ ihren Mantel, das Kopftuch und den kleinen Koffer liegen; sie wollte nur rasch aus dem Lokal. Wie eine Irre raste sie durch den Saal. Ein eisiger Windhauch blies in ihren Nacken und trieb sie unerbittlich vorwärts. Schweiß rann über ihr Gesicht.
    Sie raste an der Kasse vorbei und auf die Straße. Ein junger Mann sah sie erstaunt an, denn ihr Kleid stand halb offen.
    Sie kam an einer Peitschenlampe vorbei. Ihr eigener Schatten war riesig. Plötzlich war ein zweiter da, dann ein dritter.
    Die Eiseskälte hüllte sie ein. Verzweifelt schrie das Mädchen auf und blieb unbeweglich stehen. Es gab keinen Zweifel, sie hatte drei Schatten, von denen sich einer langsam zu bewegen begann. Er löste sich und schwebte

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