0414 - Ein Goldfisch unter Großstadt-Haien
Besuch von einer Dame. Sie heißt Corinna Hunter und behauptet, mit meinem Mann Joe verheiratet zu sein. Ich habe dem Sergeant, der in der Diele wacht, noch nichts gesagt, sondern gleich Sie angerufen. Das ist doch richtig?«
»Natürlich. Ich komme sofort. Daß Ihr Besuch nicht verschwindet, bevor ich bei Ihnen bin!«
»Missis Hunter will hier auf Sie warten.«
»Ausgezeichnet! Bis gleich.«
Ich warf den Hörer auf die Gabel, kippte mir rasch den letzten Rest Eiskaffee in die Kehle, riß den Hut vom Haken und verließ im Eilschritt das Office. Ich benutzte den Lift. Im 'Hof stand mein Jaguar. Ich sprang hinters Steuer, rollte durch die Einfahrt und quetschte mich in den vorbeiflutenden Verkehr der 69. Straße. Ich erwischte eine grüne Welle und ließ mich in meinem roten Flitzer durch die Third Avenue fluten. Genau im gleichen Tempo rollten rechts und links neben mir ein schwarzer Cadillac und ein weißer Alfa Romeo mit einem rassigen Girl hinterm Lenkrad. Ein schmales braunes, grünäugiges Gesicht wandte sich mir sekundenlang zu und wischte mit einem schnellen Blick über den Jaguar. Dann lachte das Girl und ließ dabei zwei Reihen perlenweißer Zähne funkeln. Leider bog der Alfa in Höhe der 58. Straße nach links ab, und an seine Stelle schob sich ein Chevrolet mit lebensgefährlichen Heckflossen und einem verknittert aussehenden Graukopf am Steuer.
Zehn Minuten später betrat ich das Apartment-Haus am Gramercy Park. Ich nahm den Lift. Bevor ich die Tür hinter mir schließen konnte, schob sich ein großer Mann herein. Er warf mir einen kühlen Blick zu, nickte kurz und sagte — schon mit dem Daumen auf die Schalttafel zielend: »Welcher Stock? Ich fahre bis ganz oben hin.«
»Ich auch.«
Er nickte wieder und drückte auf den Knopf neben der Zahl 14.
Mit sanftem Ruck setzte sich die Kabine in Bewegung. Der Mann wandte sich etwas von mir ab und starrte gleichmütig auf die leuchtenden Stockwerkzahlen.
Ich schob mir eine Zigarette zwischen die Lippen und ließ mein Feuerzeug schnippen. Der Mann war sehr blond, fast weißlich. Die Haare waren zu einer dichten, exakten Bürste gestutzt. In dem gebräunten, schmalen Gesicht fiel die ungewöhnlich große Nase auf. Aber sie wirkte nicht komisch, sondern kühn und angriffslustig — wie der gebogene Schnabel eines Raubvogels. Daß der Blonde keinen geringen Teil seiner Tage mit Sport verbrachte, verrieten die kräftige, trainierte Figur und die lockeren, wohldosierten Bewegungen. Der Mann steckte in einem rehbraunen, sportlich geschnittenen Anzug mit aufgesetzten Taschen. Das weiße Hemd war am Kragen geöffnet. Den grünen Seidenschal taxierte ich auf mindestens fünfzehn Dollar, die leichten grauen Wildlederschuhe auf reichlich das Doppelte.
Vierzehnter Stock. Der Lift hielt.
Der Blonde stand der Tür näher als ich, stieß sie auf, trat in den Flur und verschwand aus meinem Blickfeld. Ich folgte ihm langsam. Er wandte sich hach links, ging schnell, erreichte May Hunters Wohnungstür, blieb stehen, schien zu zögern, drehte den Kopf, warf mir einen Blick zu und legte dann den Daumen auf den Klingelknopf.
Jetzt hatte auch ich die Tür erreicht. Ich blieb neben dem Mann stehen. Ein zweiter Blick streifte mich — jetzt mit Erstaunen gemischt.
»Wollen Sie auch zu Mrs. Hunter?«
Ich nickte.
Im gleichen Augenblick wurde die Tür einen Spalt weit geöffnet. Ich sah das Gesicht des Sergeanten. Er hatte die Zähne fest aufeinandergepreßt. Die Muskeln der Kinnlade traten wie kleine Knoten 'hervor. Die rote Haut war schweißnaß.
»Hallo, Sergeant«, sagte ich. »Alles okay?«
»Alles okay, Mister Cotton.« Bowl zog die Tür ganz auf.
»Bitte nach Ihnen.« Ich machte eine einladende Geste, und der Blonde schob sich vor mir über die Schwelle. Seine Haltung war plötzlich so steif, als habe er einen Stock verschluckt.
»Bleiben Sie auf Ihrem Posten, Sergeant!«
Bowl nickte. »Die; beiden Frauen sind im Balkonzimmer.«
Der Blonde hatte sich neben dem Garderobenständer aufgebaut, nagte an der Oberlippe, schob die Hände in die Taschen und spielte den Lässigen. Er trug seine Gelassenheit so dick auf, daß ich sie ihm nicht glaubte.
Ich klopfte kurz, wartete das .Herein nicht ab, stieß die Tür auf und deutete dem Blonden wiederum mit einer Handbewegung an, daß er vorangehen solle.
Er stakste ins Balkonzimmer und nahm die Hände aus den Taschen.
Ich schloß die Tür hinter mir.
Die beiden-Frauen saßen sich in tiefen Sesseln gegenüber. Mit einem
Weitere Kostenlose Bücher