0485 - Die Furie
einfach.
Pascal Lafitte lehnte sich mit dem Rücken an die Tür und ballte die Fäuste. Gut, er hätte damit rechnen müssen, daß man ihn jetzt, wo offenbar alles vorbei war, nicht mehr hereinließ. Vielleicht konnte er es per Telefon versuchen. Nicht weit entfernt befand sich ein Münzfernsprecher. Pascal gab sich einen Ruck und machte sich auf den Weg.
Mehr und mehr glaubte er, daß hier etwas nicht stimmte!
***
Lucy, die Furie, stellte fest, daß sie dem Theater immer näher kam. Um so größer wurde für sie die Gefahr, daß sie in eine Falle lief, die ihr Feind dort aufgestellt haben mochte, weil er damit rechnete, daß sie zurückkehrte. Theater und Hotel befanden sich in derselben Straße, nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt.
Je näher sie kam, desto dringender wurde es aber auch, ein Opfer zu finden. Einen Menschen, der sich allein und ahnungslos durch Lyon bewegte, der in Frage kam und der der geschwächten Furie keinen sonderlichen Widerstand leisten konnte.
Plötzlich spürte sie, daß ein solches Opfer sich in ihrer Nähe befand.
***
»Ich bin in New Orleans, Louisiana, USA, geboren«, sagte Phil Textor leise. »Nur ein paar Tage nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Mein Vater fiel bei der Invasion der Normandie durch US-Truppen im Kampf gegen die Nazis. Meine Mütter starb, als ich vier oder fünf Jahre alt war. Sie wurde vom Ku-Klux-Clan ermordet.«
»Ihre Haut ist weiß, Textor«, sagte Nicole leise.
»Mein Vater war weiß, meine Mutter schwarz. Ich habe die Gene meines Vaters. Aber wir wohnten in den Negerslums. Mein Vater bekam posthum einen Orden. Er war ein Held. Er hatte die Freiheit der Welt gegen den Terror der Nazis miterkämpft. Was nützte mir das? Ich lebte mit weißer Haut im Ghetto der Schwarzen. Wahrscheinlich können Sie sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie es dort zugeht. Meine Eltern tot, ich ein von allen Seiten angefeindetes armes Schwein. Die Schwarzen hielten mich für einen Weißen - nach dem Terrormord der weißen Ku-Kluxer an meiner Mutter gab es niemanden mehr, der im Ghetto für mich sprechen konnte. Die Weißen wollten mich aber auch nicht haben, weil die natürlich die Geburtsurkunde studierten und merkten, daß ich ein verdammter Bastard war und bin. Wissen Sie was, Zamorra? Selbst heute sind in den USA die Schwarzen nur dazu gut, als Soldaten an fremden Fronten zu verbluten oder als Sportler Medaillen für ›Uncle Sam‹ zu holen. Aber zu sagen haben sie immer noch nichts. Okay, es gibt ein paar Alibi-Schwarze in Film und Fernsehen, und es gibt auch ein paar Schwarze in verantwortlichen Positionen von Politik und Wirtschaft. Aber hinter und über denen steht immer noch ein Weißer. Die Rangfolge von oben nach unten ist: Weißer Mann, weiße Frau, Indianer, Latino, verdammter Nigger.«
»Sie sind verbittert, weil Sie nur die Schattenseite des Lebens kennengelernt haben«, sagte Zamorra. »Aber es ist nicht ganz so, wie Sie es sehen.«
»Sie sind nicht mit der eigentlich richtigen Hautfarbe im falschen Stadtviertel aufgewachsen«, sagte Textor. »Sie haben nicht in den Südstaaten der USA ohne jegliche Unterstützung großwerden müssen, ohne zu wissen, wohin Sie gehören - zu schwarz oder zu weiß. Und kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Spruch, für Sie persönlich gäbe es keinen Unterschied zwischen den Hautfarben. Ich habe diesen Unterschied bitter zu spüren bekommen. Ich war bettelarm, ich war der letzte Dreck. Ich mußte stehlen, um zu überleben, ich durfte nicht einmal zu einer schwarzen Straßengang gehören, weil ich weiß aussehe. Niemand wollte mich. Und dann bekam ich meine große Chance. Reich und berühmt konnte ich werden, Zamorra. Reich und berühmt. Und ich habe diese Chance mit beiden Händen gepackt. Nie wieder als der letzte Abschaum verprügelt werden. Nie mehr sich vor den Cops verstecken müssen. Nie mehr sich vor Hungerkrämpfen auf dem Boden winden müssen! Nie wieder zerlumpte, stinkende und verlauste Fetzen tragen müssen, um nicht völlig nackt herumzulaufen! Zamorra, können Sie sich das überhaupt vorstellen? Wissen Sie, was es heißt, als Kind und Jugendlicher als der letzte Dreck in der Gosse zu liegen und mal eben so ›ganz aus Versehen‹ mit auf den Müll gekehrt zu werden?«
»Ich versuche es zu verstehen«, sagte Zamorra. Er dachte an die Chancen, die er selbst bekommen hatte, er dachte an sein ererbtes Château Montagne und die großen, verpachteten Lände reien, die ihm ein sicheres Einkommen
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