0485 - Die Furie
zurück. So etwas kam in der Weißen Magie natürlich niemals in Frage und erwies sich damit als schweres Handicap. Aber Zamorra und seine Verbündeten konnten damit leben; sie brauchten ihre Seele nicht dem Bösen zu verkaufen, um magische Macht benutzen zu können. Sie besaßen andere Hilfsmittel.
Textor starrte Zamorra düster an.
»Das, was Sie auf der Bühne zeigen«, sagte der Parapsychologe, »ist eine wundervolle Show, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Aber Sie holen sich die Magie, die dazu notwendig ist, von einer Dämonin, nicht wahr? Robin hat recht. Lucy mordet. Und Sie nehmen dieses Morden hin, Textor, weil Sie Lucys Zauberkraft brauchen. Ansonsten wären Sie nicht ›Mister Merlin‹, sondern ein kleiner Jahrmarktgaukler. Ohne Lucy sind Sie ein Nichts, ein Niemand. Warum also wollen Sie die Dämonin töten?«
»Sie haben Ihre Seele dem Teufel verschrieben, nicht wahr?« hakte Nicole neben ihm ein. »Sie sind Faustus, und Lucy ist Mephisto. Aber Doktor Faustus war nie so närrisch, Mephisto umbringen lassen zu wollen. Warum wollen Sie das Schaf schlachten, statt es weiter zu scheren?«
»Und warum tun Sie das nicht selbst?« zog Zamorra Textors Aufmerksamkeit wieder auf sich. Es war Verunsicherungstaktik. Textor mußte von einem zum anderen sehen, und sie standen in solchen Winkeln zu ihm, daß er allein durch das ständige Kopfdrehen seine Konzentration verlor. Ein alter Studententrick, den Zamorra und seine Kommilitonen früher schon an der Universität angewandt hatten, wenn sie einen Dozenten hereinlegen wollten. Zwei oder drei in den ersten Reihen sitzende Studenten verwickelten den Dozenten in eine scharf geführte Diskussion; allein durch das ständige Drehen mußte er nervös werden und den Faden verlieren… Nicht gerade die feine Art, aber bei Textor war Zamorra überzeugt, daß der Zweck dieses Mittel heiligte.
»Nun reden Sie endlich«, fuhr Nicole Textor an. »Glauben Sie wirklich, wir könnten die Wahrheit nicht auch ohne Ihre Aussage herausfinden? Diesen Mann da«, sie deutete auf Zamorra und zwang Textor damit praktisch erneut den Kopf zu drehen, »nennt man den ›Meister des Übersinnlichen‹. Ihre Lucy ist vor ihm geflohen, nicht wahr? Sie hat sofort erkannt, daß er ihr maßlos überlegen ist.«
»Es kostet mich ein müdes Stirnrunzeln, Ihre Gedanken zu kontrollieren«, schwindelte Zamorra. »Aber mir wäre es lieber, Sie würden von sich aus reden. Das ist für mich weniger ermüdend. Haben Sie einen Pakt mit der Hölle geschlossen? Und warum wollen Sie Lucy umbringen lassen? Warum gerade durch uns? Sehe ich wie ein Killer aus? Vielleicht sollten Sie die Mafia auf Lucy ansetzen, wenn Sie sie unbedingt tot sehen wollen.«
Mit dem leicht abgespreizten kleinen Finger gab er Nicole ein Zeichen; es reichte. Textor war gar gekocht.
»Vielleicht lassen Sie mich jetzt endlich auch mal was sagen!« knurrte Textor entnervt. Er schnellte von seinem Stuhl hoch und baute sich in der gegenüberliegenden Ecke seiner Garderobe auf. Von hier aus hatte er Zamorra und Nicole in einem besseren Blickwinkel, brauchte nicht ständig den Kopf zu drehen. »Hören Sie zu«, verlangte er.
Zamorra und Nicole spitzten die Ohren. »Mit dem größten Vergnügen, ›Mister Merlin‹!«
***
Je näher Pascal Lafitte dem Theater kam, desto unwohler fühlte er sich. Vielleicht hätte er besser doch nicht dorthin gehen sollen. Vielleicht war ja alles glatt gelaufen, und Zamorra und Nicole tauchten gleich auf. Aber wenn ihnen etwas zugestoßen war, dann war Pascal selbst in noch größerer Gefahr, weil er nicht die Fähigkeiten und Fertigkeiten besaß, sich gegen eine Kreatur zu wehren, die selbst einen Professor Zamorra überwand!
Vor dem Theater war alles ruhig. Die Polizeifahrzeuge waren verschwunden; die Beleuchtung größtenteils erloschen. Sicher befanden sich noch ein paar Leute im Haus, aber es sah nicht danach aus, als gäbe es jetzt noch einen großen Rummel. Pascal erreichte den Eingang. Die Türen waren verschlossen. Er rüttelte daran, und jemand schlurfte von innen heran. »Es ist längst geschlossen«, brummte die Stimme.
»Professor Zamorra befindet sich noch im Haus«, behauptete Pascal durch die geschlossene Tür. »Ich bin sein Mitarbeiter. Er wartet auf mich. Öffnen Sie bitte.«
»Es ist längst geschlossen, die Vorstellung ist vorbei«, wiederholte der Mann und schlurfte wieder davon.
»He!« brüllte Pascal. »Warten Sie, Mann!«
Aber der andere ignorierte ihn
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