05 - komplett
heiraten. Ich werde sie nicht aufhalten und hoffe nur, dass sie ein besseres Schicksal erwartet als seine erste Frau.“
„Ich rede nicht von ihrer Hochzeit“, meinte Alex ungeduldig. „Ich fürchte, sie hat sich einen tollkühnen Plan ausgedacht, wie sie das Tagebuch in ihren Besitz bringen kann.“
Jack verkniff sich eine bittere Antwort. „Sagen Sie mir, Alex, warum ich mich für diese Frau einsetzen soll? Bei unserem letzten Treffen machte sie mir deutlich, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben will. Und von Anfang an hat sie sich geweigert, sich mir anzuvertrauen. Ich wollte ihr helfen. Ich hätte sie sogar geheiratet, ungeachtet der Verbrechen, die sie vielleicht zu verheimlichen sucht. Aber sie ist entschlossen, ihre Geheimnisse für sich zu behalten. Sie vertraut mir nicht.“ Er schloss die Reisetasche mit größerer Heftigkeit, als nötig gewesen wäre. „Nur eins wiederholt sie ständig – dass sie mir nichts verraten kann, weil es nicht allein ihre Geheimnisse sind.“
„Sie hat recht“, sagte Alex bedächtig. „Es sind auch meine. Und ich bin bereit, Sie einzuweihen.“
Eine bestimmte Stunde jede Nacht herrscht Stille in den Straßen der noblen Gegenden Londons und niemand ist unterwegs – zwischen der Runde der Latrinenwagen und dem Moment, wenn der Hilfsbursche des Kochs gähnend aus dem Haus stolpert, um seinem Herrn zum Markt zu folgen.
Zu ebendieser Stunde versteckte Eloise sich im Schatten des Gebäudes genau gegenüber von Sir Ronalds eindrucksvollem Stadthaus. Nachdem sie festgestellt hatte, dass alle Fenster dunkel waren, überquerte sie klopfenden Herzens die Straße und huschte in eine enge Seitengasse. Sie trug Männerkleidung, die sie am Nachmittag in der Bond Street gekauft hatte.
Eloise hatte das Haus eine ganze Weile beobachtet und glaubte, jetzt sicher davon ausgehen zu können, dass jeder seiner Bewohner schlief – selbst Sir Ronalds Kammerdiener dürfte wohl im Sessel beim Eingang eingedöst sein.
Entschlossen ging sie auf die gut zwei Meter hohe Ziegelmauer zu. Sie hatte schon höhere Hindernisse überwunden, wenn es auch sehr lange her war. Damals war sie ein junges Mädchen gewesen, das sich mit Tony und Alex in die unmöglichsten Abenteuer gestürzt hatte.
„Darf ich Mylady über die Mauer helfen?“
Eloise unterdrückte einen Schrei, wirbelte herum, konnte aber in der Dunkelheit nicht den Mann ausmachen, der sie angesprochen hatte. Trotzdem hätte sie diese tiefe, sanfte Stimme überall wiedererkannt. Ihr Herz klopfte regelmäßiger, ihre Furcht ließ nach.
„Jack! Was tust du hier?“
„Dir helfen.“
Sie schöpfte Hoffnung. „Ich dachte, du bist schon abgereist?“
„Wie du siehst, bin ich noch da.“
Plötzlich fiel ihr ein, weshalb er nicht hier sein durfte. „Du musst sofort gehen, Jack“, drängte sie ihn. „Es ist viel zu gefährlich für dich. Wenn ich erwischt werde, wird Sir Ronald mir nichts antun. Allein kann ich ihn vielleicht sogar beschwichtigen, aber ...“
Er legte ihr einen Finger auf die Lippen und brachte sie damit zum Schweigen. „Eine Sache wollen wir zunächst klarstellen. Du heiratest Deforge nicht, ob wir heute nun erfolgreich sein werden oder nicht. Und jetzt kein Wort mehr, sonst geht die Sonne auf, bevor wir von hier fort sind.“
Sein Ton ließ keine Widerrede zu. Eloise erlaubte ihm, ihr auf die Mauer zu helfen, und sie schwang die Beine hinüber und ließ sich auf der anderen Seite hinabfallen.
Jack folgte ihr schnell und lautlos. Im schwachen Licht des Mondes, das ab und zu hinter den Wolken hervorlugte, versuchte Eloise, die Fenster des Arbeitszimmers zu finden und den besten Weg dorthin auszumachen. Flink kletterte sie auf die Wassertonne und von dort auf ein breites Fenstersims. Ihre weichen Lederschuhe –
eine weitere Anschaffung in der Bond Street – machten kein Geräusch.
Der Mond verschwand hinter einer dichten Wolke. Einen Moment herrschte tiefe Finsternis, und Eloise war unfähig weiterzugelangen. Sie spürte Jacks Hand stützend auf ihrer Schulter. Sobald sie wieder sehen konnte, kletterte sie weiter, bis sie genau unter dem Fenster zum Arbeitszimmer stand. Sie hatte gestern festgestellt, dass es sich um ein Schiebefenster handelte, dessen Riegelung gut mit einem Messer beiseitegeschoben werden konnte. Als sie jedoch ihr wohlweislich mitgebrachtes Taschenmesser hervorholte, hörte sie Jack leise lachen.
„Du musst noch etwas wachsen, bevor du das Fenster erreichen kannst, meine Liebe. Lass
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