0522 - Er kam aus dem Todesschloß
meine Laune nicht gerade an. Ich vernahm Worte, mit denen ich eigentlich hatte rechnen müssen, aber trotzdem überrascht wurde.
»Nie hat mich jemand so enttäuscht wie du, John. Ich habe dich für einen Freund gehalten, das stimmt nun nicht mehr. Du bist kein Freund. Du hast mich verraten. Du bist nicht besser als die anderen. Aber ich habe einen neuen Freund gefunden. Wir sind bereit, es der Welt zu zeigen, zu beweisen, wie mächtig wir sind. Jetzt brauche ich dich nicht mehr, John. Ich habe eine neue Heimat gefunden. Und ich werde dich finden. Ich bin in deiner Nähe. Vielleicht kommen wir in dieser Nacht, vielleicht auch erst in der nächsten oder später in London. Aber ich werde kommen, John, ich werde dich zur Verantwortung ziehen. Es ist schade, so schade…«
Ihre Stimme entschwand, doch ich wollte einfach nicht aufgeben und »rief« nach ihr.
Über das Kreuz, das meine geistigen Kräfte verstärkte, bekam ich wieder einen Kontakt.
»Was willst du noch?«
»Mit dir sprechen…«
»Nein, nicht jetzt.«
»Ich möchte dich sehen.«
»Das glaube ich dir. Aber du hast mich verraten, John.«
»Es stimmt nicht, Julie. Ich habe dich nicht verraten. Ich bin dir nachgefahren, um dich…«
»Das glaube ich dir nicht, John. Leb wohl…«
Diesmal öffnete ich die Augen und sah, daß mich der Professor und Glenda gebannt anschalten.
»Hast du Kontakt mit ihr gehabt?« fragte Glenda.
»Ja.«
Wayne schlug mit der flachen Hand auf seinen Oberschenkel.
»Wieso? Auf telepathischem Wege?«
»Natürlich.«
»Was hat sie Ihnen mitgeteilt?«
Ich hob die Schultern. »Julie befindet sich nicht sehr weit entfernt, das habe ich herausfinden können. Aber da ist noch etwas. Sie hält mich für einen Verräter. Das heißt, sie gibt mir die Schuld daran, daß sie abgeholt wurde.«
»Das ist doch Unsinn. Das Ministerium hat sich mit mir in Verbindung gesetzt, um…«
»Professor«, sagte ich sanft und gleichzeitig vorwurfsvoll.
»Wollen Sie dem Kind das erzählen?«
»Natürlich, ich…«
»Julie würde Ihnen kein Wort glauben, was ich auch verstehen kann. Sie ist zu sehr enttäuscht worden, auch durch mich.«
Wayne dachte praktisch. »Wenn sie sich in der Nähe befindet und sie nicht gelogen hat, müßte der Ort nicht weit von hier entfernt liegen, wie ich meine.«
»Das kann schon sein.«
»Dann würde sich auch eine Suchaktion lohnen, Mr. Sinclair.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wir würden sie und Ihren Sohn, Professor, nur kopfscheu machen.«
»Er ist bei ihr?«
»So sieht es aus!«
Wayne lehnte sich zurück und preßte seine Handflächen gegen beide Wangen. »Ich komme darüber nicht hinweg«, flüsterte und schüttelte den Kopf.
Mit diesem Mann konnte ich kein Mitleid haben. Einer Karriere wegen hatte er seinem Sohn Schlimmes angetan, ihn gehalten wie ein Stück Vieh, wie ein Monstrum, das man am besten vor der Außenwelt versteckt hielt. So etwas durfte ein Vater nicht tun, das war in meinen Augen unverantwortlich.
»Jedenfalls müßten wir uns auf den Weg machen und Julie finden«, sagte ich zu Glenda.
Sie schaute skeptisch. »Kannst du nicht versuchen, noch einmal mit ihr Verbindung aufzunehmen?«
»Versuchen ja. Es würde keinen Erfolg geben. Julie diktiert, was zu tun ist, nicht ich.«
»Dann weiß ich auch nicht mehr weiter.«
»Professor Wayne«, sprach ich mein Gegenüber hart an. »Sie kennen sich in der Gegend aus. Wo gäbe es einen Platz, an dem sich zwei Menschen aufhalten und einigermaßen ruhig die Nacht verbringen könnten?«
»Überall.«
»Ja, der Wald ist dicht. Wir könnten wochenlang suchen, aber in der Nacht sehnt man sich nach einem Unterschlupf. Wir haben Winter, im Sommer wäre das etwas anderes. Bei diesen Temperaturen allerdings…«
»Richtig, Mr. Sinclair, richtig«, unterbrach er mich. »Ich bin ebenfalls Ihrer Meinung.«
»Wissen Sie einen Ort, wo Sie sich versteckt halten würden, wenn Sie einer der beiden wären?«
»Das ist eine Frage«, sagte er kopfschüttelnd und nickte einen Moment später. »Ja, ich wüßte einen. In meiner alten Burg, das wäre für beide ideal.«
»Daran glaube ich wiederum nicht.«
»Was ist der Grund?«
»Glauben Sie denn im Ernst daran, Professor, daß Ihr Sohn wieder dorthin gehen würde, wo man ihn all die Jahre über festgehalten hat? Freiwillig bestimmt nicht, nur unter Zwang. So jedenfalls sehe ich die Sache. Vielleicht liege ich auch falsch…«
»Nein, da haben Sie recht, Mr. Sinclair. Psychologisch betrachtet, stimmt das
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