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Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Titel: Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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NÄCHTE MIT BOSCH
    N ACHTS, WENN ICH EINSAM BIN , wenn mich die letzten Gesichter auf dem Fernsehschirm verlassen haben und weiße Krokodile sich langsam aus dem Spülstein schieben, setze ich mich gern ein wenig in die Küche und unterhalte mich mit dem Kühlschrank. Ich schätze diese Gespräche. Der gute alte Kerl, er heißt im Übrigen Bosch, hat immer was zu trinken da, und sein Verstand analysiert die Dinge auch zu dieser Stunde eiskalt.
    Ich starre dann auf die Fläche des Küchentisches und stelle viele Fragen: Warum muss ich im Omnibus eine Fahrkarte in einen klackenden Apparat schieben, im Schwimmbad ein Ticket im Maul eines grünen Kastens abstempeln lassen, vor dem Büro eine grüne Plastikscheibe in einen schwarzen Rachen stecken, dem Schrankenautomaten in der Tiefgarage weißes Papier zu fressen geben, den öffentlichen Telefonapparat bunten Kunststoff schmecken lassen – warum? Wohin senden die Geräte ihr Wissen über mein Vorbeikommen? Was merken sie sich, was vergessen sie? Wer will das alles wissen? Wer fasst alles zusammen?
    In letzter Zeit beginnt Bosch, meine Melancholie gelegentlichzu teilen. Er sei, sagt er dann, nun auch nicht mehr der Jüngste, das Tiefkühlfach tue es schon nicht mehr so recht, die Abtauautomatik schmerze, und dann immer das viele kalte Bier. Neulich hat er gebeten, ich möge, wenn es mit ihm so weit sei, für eine anständige Entsorgung seines FCKW-haltigen Kühlmittels sorgen.
    Meinen Fragen, meinen Klagen lauscht er immer noch summend. Nur manchmal macht er Einwände, wie neulich, als ich ihm aus einem alten »Journal of the American Medical Association« vorlas. Es ging um eine Studie über Verletzungen, die Menschen bei Unfällen mit Getränkeautomaten davongetragen hatten, ja von Todesfällen war die Rede. Immer wieder geschehe es, so las ich, dass Cola-Automaten, vollbeladen mit gefüllten Dosen, sich nach vorne neigten und auf die Kunden stürzten. Drei Soldaten seien, Angaben der US-Armee zufolge, auf diese Weise zerdrückt worden.
    »Und warum?«, brummte mein alter Freund, dem die Untersuchung auf geheimnisvolle Weise schon zur Kenntnis gelangt war. »Weil sie die Geräte getreten und beschimpft haben. Weil sie ihnen die Getränke aus dem Leib schütteln wollten. Da kippen sie halt um. Sollen sie sich alles gefallen lassen?«
    Ich lief ins Wohnzimmer, um den ersten Band meines geliebten Lexikons zu holen. Ein Automat, definierte ich, erregt das Buch schwenkend, sei eine Vorrichtung, die vorbestimmte Handlungen nach einem Auslöseimpuls selbstständig und zwangsläufig ablaufen lasse; nichts anderes sei ihm gegeben.
    »Stimmt das denn?«, fragte mein Gegenüber.
    Natürlich stimme es nicht, brüllte ich, heiser vor Wut, aber man müsse darauf mal wieder zurückkommen. Wie oft habe so ein Ding schon mein mühsam zusammengepumptes Kleingeld ohne Gegenleistung gefressen! Wie oft sei am Kaffeeautomaten der Pappbecher leer geblieben! Und wenn es mal genug Kaffee gebe, garantiert seien dann die Pappbecher alle! Die Cola-Automaten habe man doch nicht grundlos geschüttelt. Nie mache ein Automat, was ich wolle, nie!
    »Siehst du«, seufzte Bosch und schüttelte sich, dass die Flaschen klirrten, bevor sein Summen erstarb.
    Die in Europa stationierten GIs, so hieß es in dem Artikel, würden durch eine Informationskampagne davor gewarnt, Automaten zu misshandeln. Wer aber warnt die Automaten? Wer sagt ihnen, dass sie nicht ohne Gegenleistung unsere Münzen für sich behalten dürfen? Wir sollen friedlich sein – und sie? Ich musste an den Getränkeautomaten in der Fernsehserie »Kottan ermittelt« denken, der mit den Menschen in seinem Büro so zerstritten war, dass er einigen von ihnen grundsätzlich nichts mehr servierte. Also haben sie doch – eine Seele? So viele Fragen in der Nacht. »Bosch! Bosch!! Sag mir, ob das Licht in deinem Innern wirklich aus ist«, flehte ich den Kühlschrank an.
    Keine Antwort. Es war dunkel, und die Krokodile glotzten. Morgen würde ich den Voice-Control-Wecker anschreien, und er würde zurückbrüllen, ich sei ein Schinder und ein Säufer und solle ins Bad verschwinden. Den Kopf auf dem Arm schlief ich ein und träumte, dass einarmige Banditen mich ausraubten.

MENSCH, DANKE, ONKEL OSKAR
    M EIN O NKEL O SKAR lebte vor vielen Jahren in Westberlin, und als ich 16 war, besuchte ich ihn zum ersten Mal. Wir gingen morgens um zehn in die Kantine des Blumengroßmarktes beim Checkpoint Charlie, und Onkel Oskar sagte:
    »Was willst’n

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