0552 - Einer kam wieder
besaß. Die Augen wirkten wie zwei helle, mit kaltem Licht gefüllte Kreise.
Aber da waren noch zwei Augen. Jedenfalls kamen sie Siebel so vor. Es waren die Mündungen der Waffen, die den schmerzgebeugten Mann wie böse Augen anglotzten.
Er sagte nichts, reden konnte er nicht, er schaute nur auf die Gestalt, die ebenfalls nicht sprach.
Aber alte Zeiten kehrten zurück. Zumindest in Siebels Erinnerung.
Zwanzig Jahre waren es her.
Zwanzig verdammte Jahre hatte er mit dieser furchtbaren Angst gelebt. Jetzt war der Tag da.
Siebel mußte sich einfach bewegen. Er ging zurück. Jeder Schritt war für ihn eine Qual.
Wenn es ihm gelang, das kleine Bad zu verlassen und er anschließend über sich selbst hinauswuchs, war es vielleicht möglich, diesem Schreckenswesen zu entkommen.
Nach dem dritten Schritt handelte der Grüne!
Er hob beide Waffen an. Deren Mündungen zielten jetzt direkt auf Ivan Siebel.
Dann drückte er ab.
Zum einen stand die winzige Feuerblume vor der rechten, zum anderen vor der linken Mündung.
Zwei Kugeln, die auch trafen!
Siebel schrie nicht einmal. Die schweren Hiebe schmetterten ihn zurück bis gegen den rechten Türpfosten. Er spürte die Kante noch wie eine Lanze in seinen Rücken dringen. Der Schmerz war da, er überwältigte ihn als gewaltige Woge, und mit ihm kam die Dunkelheit.
Während Siebel fiel, hatte er den Eindruck, als würde jemand einen Vorhang langsam zuziehen. Der Vorhang nahm ihm die Sicht, er nahm ihm alles, denn der Tod war erbarmungslos.
Der Grüne aber machte auf dem Sims hockend kehrt und verschwand ebenso lautlos, wie er gekommen war…
***
In der Halle des altehrwürdigen Dorchester Hotels dämpften dicke Teppiche meine Tritte. Ich befand mich nicht zum erstenmal in diesem Haus. Ob man mich kannte oder nicht, wußte ich nicht, jedenfalls nickte man mir vom Personal her grüßend zu.
Ich wollte schon zur Rezeption gehen, als sich aus einem der Sessel in der Halle jemand erhob.
Ein großer, breitschultriger Mann mit blonden Haaren, die heller als meine waren. Das Gesicht, noch von der Sonne gebräunt, die Züge etwas kantig wirkend, und hell die Augen.
»Hallo, John!«
Wladimir Golenkow sprach ein etwas hart klingendes Englisch, wie fast alle Osteuropäer. Sein Lächeln war herzlich, als wir uns begrüßten und uns umarmten.
Von den Systemen her trennten uns noch Welten, vom menschlichen überhaupt nicht. Wir waren im Laufe der Zeit Freunde geworden, wobei sich einer auf den anderen verlassen konnte. Ich hatte schon Fälle zusammen mit Wladimir hinter dem Eisernen Vorhang gelöst, und sie hatten weiß Gott nicht zu den leichtesten gehört.
»Du siehst gut aus«, sagte ich zu ihm.
»Ach, das täuscht. Viel Arbeit, viel Ärger.«
»Liegt es an der Umgestaltung bei euch im Land?«
»So ist es. Nur bin ich froh, daß Gorbi – so sagt ihr doch hier im Westen – endlich ernst macht.«
»Darauf freuen wir uns alle.«
»Wo gehen wir hin?«
»Es kommt darauf an, was du willst.«
»Eine ruhige Ecke.«
Ich hob die Schultern. »Da bleiben wir doch am besten hier. Was zu trinken gibt es auch.«
»Einverstanden.«
Wir nahmen in den Sesseln Platz und streckten die Beine aus. Wladimir lächelte. Er bestellte Kaffee, ich entschied mich für Mineralwasser. Beides wurde schnell gebracht.
»Grundlos bist du bestimmt nicht nach London gekommen«, fing ich an. »Oder wolltest du mich besuchen?«
»Auch.«
Ich trank einen Schluck und ließ die kleinen Perlen auf meiner Zunge zerplatzen. »Wem galt denn dein Besuch?«
»Einem Mann namens Ivan Siebel.«
»Kenne ich nicht.«
»Kann ich mir denken. Er ist auch einer von uns gewesen.«
Ich stellte das Glas vorsichtig auf den kleinen Silberuntersetzer zurück und hob die Augenbrauen. »Weißt du, was ich dich jetzt fragen werde, mein Freund?«
»Ja, du wunderst dich sicher über die Vergangenheitsform.«
»So ist es.«
Wladimir legte seine Stirn in Falten. »Ich habe mich nicht versprochen, John. Ivan Siebel ist einer von uns gewesen. Und jetzt, mein Lieber, ist er tot.«
»Das weißt du genau?«
»Ja, ich war heute morgen schon bei ihm. Er rief uns vor einigen Tagen an. Eine dringende Meldung, der offiziell beim KGB keine Bedeutung beigemessen wurde, aber man hat mich geschickt.«
»Dann brennt es irgendwie.«
»Inzwischen lichterloh.«
Ich trank wieder. »Um was geht es eigentlich?«
»Um einen Schläfer.«
»Sehr schön, Wladimir.« Schläfer sind Agenten, die meist lange, manche viele Jahre, auf ihren
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