0576 - Der ewige Feind
Stadtkönig wurde gefürchtet.
Doch Noron wollte nicht mehr, daß man ihn fürchtete. Er wollte keine Tränen und kein Blut mehr. Er wollte Glanz in den Augen der Kinder sehen und Hoffnung hören, wenn die Alten sprachen. Macht über Leben und Tod hatte er lange genug ausgekostet, sie reizte ihn nicht mehr.
Aber immer wieder hatten die Schamanen seine Pläne frühzeitig durchkreuzt. Und weil sie diejenigen waren, die mit den Göttern sprachen, und weil nur sie ermöglichen konnten, daß es den Uruqui nach dem Tode besser erging, hatten sie sich eine Machtposition geschaffen, die kaum zu erschüttern war. Im Zweifel würden die Uruqui eher den Worten der Schamanen gehorchen als denen des Stadtkönigs.
Der König konnte sie in eine Schlacht und mit seiner genialen Strategie auch zum Siege führen. Er konnte ihnen jedoch nicht garantieren, daß sie glücklich wurden, wenn sie dereinst starben. Denn dafür sorgten nur die Götter, und mit den Göttern sprachen einzig die Schamanen.
Doch jetzt begnügten die hexerischen Parasiten sich nicht mehr mit dem, was sie hatten. Sie wollten mehr.
»Ein neues Zeitalter«, hatte Alan gesagt.
Ein Zeitalter, in dem es keinen Platz mehr für Noron und andere seiner Art gäbe! Keinen Platz mehr für Könige!
Die Schamanen wollten auch diesen Teil der Macht für sich! Sie wollten alles !
Das brachte für Noron die Entscheidung.
Seine Zeit lief ab - so oder so, mit oder ohne Unsterblichkeit.
Nun, er hatte lange gelebt. So lange wie kein anderer Uruqui. Er hatte alles auskosten können und gesehen, wonach es ihn gedrängt hatte.
Wenn Alan ihm die Unsterblichkeit wieder nahm - das wäre bitter, sehr bitter sogar, denn es bedeutete das Ende vieler Träume…
Aber man durfte die Macht nicht völlig in die Hände der Schamanen legen, die das Volk der Uruqui im Namen der Götter in Knechtschaft hielten und die Menschenopfer forderten, um den Zorn der Götter auf die Uruqui zu besänftigen - wobei das Eigentum der Opfer wie selbstverständlich an die Schamanen fiel…
Noron wollte seinem Volk sanfte Götter zeigen. Götter, vor deren Antlitz man lachen durfte, statt sich aus Furcht vor Bestrafung für unwissentlich begangene Fehler zu ducken.
Ach, sollten es ruhig dieselben Götter sein!
Aber nicht länger dieselben Schamanen…
Und so fällte Noron seine Entscheidung.
Eine Entscheidung, die Alan und seinen Anhängern natürlich nicht gefallen konnte. Aber Noron war bereit, den Konflikt einzugehen und ihn auch auszukämpfen.
Er wollte die Macht der Schamanen brechen, so wie Alan die Macht des Adels brechen wollte.
Denn Alan fühlte sich stark, sehr stark sogar. Und deshalb forderte er jetzt, nachdem er die Wachsoldaten des Stadtkönigs mit einer Handbewegung getötet hatte, ein Gottesurteil!
Er provozierte Noron!
Willst du nicht die Götter entscheiden lassen, wem sie sich zuivenden - dir oder mir?
Noron hob die Hand.
»Und ob ich das will!« sagte er kalt.
Alan grinste hämisch.
»Es sei!«
***
»Ihr müßt krank sein, Gebieter«, raunte Ylesa, Hauptfrau des Stadtkönigs. »Wenn Ihr Euch gegen Alan stellt, stellt Ihr Euch gegen die Götter selbst. Wer seid Ihr, daß Ihr das riskieren wollt?«
»Ich bin ein alter Mann«, erwiderte Noron ruhig. »Und vielleicht möchte ich jetzt endlich, wo ich so lange gelebt habe, herausfinden, ob es stimmt, was die Schamanen uns stets predigen - daß wir nach unserem Tode eine andere Welt betreten und in jener glücklicher leben können.«
»Und um das herauszufinden, Gebieter, geht Ihr ein solches Risiko ein? Dafür setzt Ihr alles aufs Spiel, wofür Ihr Euch so lange eingesetzt habt? Ihr werdet sterben! Gegen Götter kämpfen selbst Könige vergebens!«
Noron lächelte. Er strich Ylesa sanft über das Gesicht.
»Früher mal«, sagte er leise, »hätte ich dich für eine solche Bemerkung köpfen lassen. Aber das wäre sicher Verschwendung.«
Ylesa antwortete nicht. Sie dachte über sein Lächeln nach. Es ließ ihn fremd aussehen.
»Denkt auch an Eure Frauen, Gebieter«, bat sie ihn nach einer Weile. »Was wird aus den anderen und mir, wenn die Götter Euch vernichten? Werden sie uns nicht mit Euch ins Verderben reißen?«
»Welchen Vorteil hätten die Götter davon?« gab Noron zurück. »Wir Sterblichen sind unbedeutend für sie. Ob wir leben oder nicht, was schert's die Götter? Sie interessieren sich dafür, ob wir sie anbeten und verehren, das aber können wir nur, wenn wir leben. Die Götter wären dumm, diejenigen zu
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