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0617 - Zeit der Ungeheuer

0617 - Zeit der Ungeheuer

Titel: 0617 - Zeit der Ungeheuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Bran vom Stamm der Aska war ein Geschichtenerzähler. Der Beliebteste, seit ein Aska zurückdenken konnte, und selbst andere Stämme schickten Zuhörer, die Brans Worten lauschten, um seine Geschichten auch ihren Leuten zu erzählen. Und doch war es dann niemals so, als würde Bran sie selbst erzählen, denn etwas fehlte den anderen Erzählern, das Bran besaß und das niemand erklären konnte.
    Deshalb hielten manche Bran für einen Schamanen, für einen Zauberer, nur stritt Bran selbst das stets heftig ab und wollte nichts anderes sein als ein Erzähler und Erfinder von Geschichten.
    Doch seine Geschichten waren etwas Besonderes.
    Denn sie waren wahr.
    Einmal, in einer Zeit großer Dürre, als alles Grün verdorrte, die Bäume keine Früchte mehr tragen wollten und selbst das Wild in weit entfernte Länder floh, als die Flüsse trocken wurden und schon der dritte Mond kein Wasser mehr vom Himmel fallen sah, da setzte sich Bran in die Runde und sprach davon, wie es schon bald wieder sein würde: sprach von einem gewaltigen Regenfall, der tagelang anhielt, davonschwemmte, was nicht fest verwurzelt war, und die Bäche und Seen wieder füllte und auf das Dreifache ihrer einstigen Größe anschwellen ließ. Er beschrieb die Angst der Aska und auch vieler anderer Menschen vor dem Anschwellen der Wasserläufe, den sumpfig werdenden Boden, der die Füße der Fliehenden aufzuhalten drohte, und dann das Ende der Regenfälle und das Aufblühen der Landschaft und die Rückkehr des Wildes aus den kälteren Regionen der Welt.
    Viele, die die Hoffnung schon aufgegeben hatten, wollten an die Wahrheit seiner Geschichte nicht glauben. Erst recht nicht, als immer noch ein heißer, trockener Tag dem anderen folgte.
    Doch dann stand der Himmel in Flammen. Feuer fiel herab, und es krachte und donnerte, als müßten Berge in sich Zusammenstürzen, und der Tag wurde zur Nacht, als Wolken heranjagten im tosenden Sturm und Regen mit sich brachten - Regen, wie ihn die Aska noch nie zuvor erlebt hatten. So furchtbar die anhaltende Trockenzeit gewesen war, so furchtbar war jetzt der Regen, der den Boden aufweichte, die Flußläufe füllte und das Wasser zum rasenden Ungeheuer machte, das Menschen mit sich riß und für alle Zeiten verschlang, wenn sie nicht rechtzeitig genug entkommen konnten.
    Aber irgendwann hörte der große Regen auch wieder auf, und das Land blühte auf.
    Brans Geschichte hatte sich als wahr erwiesen.
    In den kühlen Wintertagen erzählte er von Tieren, die kein Aska je gesehen hatte. Tiere, die aus dem Norden kamen, mit zottigem Fell und langen, spitzen Hörnern. Und als es wärmer wurde und die Bäume und Gräser blühten, kamen diese großen Tiere. Wenige zunächst, als hätten sie eine Vorhut ausgesandt zum Erkunden der Landschaft, wie es die Aska, Cerruti und andere taten, wenn sie neue Jagdgründe suchten. Dann aber kamen immer mehr, und ihr Fleisch war sehr schmackhaft und ergiebig, nur die Jagd auf diese Tiere war schwer, weil sie ungeheuer aggressiv waren und sich kaum einmal ein einzelnes Tier von der Herde absondern ließ.
    Auch diese Geschichte war Wirklichkeit geworden.
    Wie so viele von Brans Erzählungen.
    Und immer mehr Aska hielten ihn doch für einen Schamanen, für einen, der die Zukunft sehen konnte. Doch die dämonischen Ungeheuer, die eines Tages über das Land kamen, hatte er nicht gesehen.
    So sagte man.
    Ungeheuer, die am Himmel flogen, riesige, schuppige Bestien mit gewaltigen Mäulern und Klauen, vor denen nichts sicher war. Eines der schweren Zotteltiere konnte so eine Bestie mit einer Klaue packen oder im Maul durch die Luft davontragen. Doch nur selten jagten die dämonischen Flugungeheuer Tiere.
    Meist jagten sie Menschen.
    Selbst Bran war vor ihnen erschrocken. Denn es war nicht so, wie viele ihm nachsagten, daß er sie mit seinem magischen Blick nicht in der Zukunft gesehen hätte und deshalb nicht von ihnen sprach. Es war vielmehr so, daß seine Fantasie nicht ausgereicht hatte, die fliegenden Ungeheuer zu erdenken und zu beschreiben.
    Es gab sie auch ohne eine Geschichte des Erzählers Bran.
    Und sie begannen die Menschen zu knechten.
    ***
    Ein kleines Feuer brannte; nachts flogen die Bestien nicht. Unter dem funkelnden Sternenzelt waren die Menschen sicher. Aber wenn der Morgen graute, hieß es, vorsichtig zu werden. Manchmal geschah viele Tage lang kein Überfall, aber dann, wenn niemand mehr damit rechnete, jagten die Ungeheuer wie Schatten am Morgenhimmel heran. Dann half nur, gegen

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