069 - Der Vampir von Venedig
traurige Gegend gekommen sind?"
„Mein Mann hat sich verlaufen", erklärte Christa, worüber Siegfried Gruber sich automatisch ärgerte. Diesem sportlichen Mann gegenüber kam er sich plötzlich wie ein Gimpel vor.
„Haben Sie sich nicht auch verlaufen?" fragte er spitz.
„So ungefähr", meinte der Mann, der sich als Dorian Hunter vorgestellt hatte. Er trug dunkelgraue Flanellhosen und ein sportliches helleres Jackett. Als Siegfried ihn musterte, stellte er verärgert und erstaunt zugleich fest, daß dieser Dorian Hunter sich kaum die Schuhe beschmutzt hatte. Wie hatte er es nur geschafft, so durch den verschlammten Kanal zu kommen?
„Hat man dieses Viertel aufgegeben?"
Christa schien ihre Ängste vollkommen vergessen zu haben. Sie fragte im interessierten Plauderton. „Ein Sanierungsgebiet", meinte Dorian Hunter. „Es ist von den Bewohnern - bis auf ein paar Familien - aufgegeben worden. Sagen Sie, war da nicht eben ein junger Mann in schwarzen Lederhosen?"
„In Kunstlederhosen", korrigierte Siegfried und kam sich sofort danach ein wenig albern vor.
„Er verschwand dort drüben in einem der alten Häuser", sagte Christa. „Er hatte sich vorher angeboten, uns zum Rialto zu bringen."
„Und warum sind Sie nicht mitgegangen?" fragte Dorian Hunter und sah das Ehepaar prüfend an. Die Antwort schien ihn sehr zu interessieren.
„Meine Frau hatte Angst schaltete Siegfried sich ein, bevor seine Frau antworten konnte. „Dabei bin ich sicher, daß er uns längst zurück in die Zivilisation geführt hätte."
Er sagte es gegen sein besseres Wissen, tat so, als hätte nicht auch er Angst gehabt, das wollte er aber gerade diesem Mann gegenüber nicht zugeben.
„Ich denke, es war richtig, daß Sie nicht mitgegangen sind", sagte Dorian Hunter. „Aber wir sollten jetzt gehen. In dieser Gegend treiben sich manchmal Leute herum, die sich auf Touristen spezialisiert haben."
„Ich heiße Christa Gruber. Das ist mein Mann Siegfried."
Siegfried Gruber schluckte. Er hatte vergessen, die Vorstellung zu übernehmen. Er kam sich wie ein ungehobelter Bursche vor, konnte aber einfach nicht verstehen, warum Christa diesem Mann Vertrauen schenkte. Hatte er sich nicht vielleicht auch auf Touristen spezialisiert? Arbeitete er möglicherweise mit dem jungen Burschen Hand in Hand?
„Ich bin Journalist", erklärte Hunter, als hätte er die Frage verstanden. „Vor etwa einer Woche bin ich aus London hierher nach Venedig gekommen. Ich glaube, Sie sollten mir vertrauen." „Natürlich", sagte Christa Gruber sofort. „Sind Sie beruflich hier?"
„So kann man es wirklich nennen", erwiderte er lächelnd, um dann zum Himmel hochzusehen. „Aber wir sollten uns jetzt beeilen. Es wird bald dunkel werden."
Siegfried Gruber hätte ,diesem Dorian Hunter gern einige Fragen gestellt. Ihm war aufgefallen, daß Hunter nur ausweichend geantwortet hatte. Was verschwieg dieser Mann? Was hatte er zu verbergen? Weshalb hatte er sich in dem verfallenen Palazzo aufgehalten?
Es stellte sich bald heraus, daß Dorian Hunter sich mit Sicherheit nicht verlaufen hatte. Er kannte sich in diesem verlassenen Viertel recht gut aus und wußte immer, welchen Weg er zu nehmen hatte. Schon nach knapp zehn Minuten erreichten sie die ersten Gassen, deren Häuser bewohnt waren. Auf dem Kanal herrschte das übliche Leben und Treiben.
„Sie sollten sich eine Gondel nehmen und sofort zurück in Ihr Hotel fahren", schlug Dorian Hunter vor. „Wenn ich mir einen Rat erlauben darf - Sie sollten nichts mehr auf eigene Faust unternehmen." „Wir waren hinter einem seltsamen Mann her", vertraute Christa sich Hunter an. Und Siegfried Gruber ärgerte sich erneut über seine junge Frau. Für sein Gefühl war sie diesem Mr. Hunter gegenüber zu vertrauensselig.
„Hinter einem seltsamen Mann?" Hunter schien sich gerade dafür sehr zu interessieren. „Darf man mehr darüber hören?"
„Wir wollen den Herrn nicht unnötig in Anspruch nehmen", schaltete Siegfried Gruber sich ein.
„Ich würde sehr gern mehr über diesen Mann erfahren", antwortete Hunter.
Christa merkte überhaupt nicht, daß ihr Mann wie auf glühenden Kohlen stand. In Stichworten erzählte sie von dem unheimlichen Mann, der sie geschickt in das verlassene Viertel gelockt hatte. Christa berichtete auch von dem Menschenauflauf vor dem alten Haus und Polizei.
„Sie wissen nicht, warum sie in das Haus eingedrungen waren?" fragte Dorian Hunter, der einen nachdenklichen Eindruck machte.
„Sie
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