07 - komplett
wandte sich zur Tür. „So habe ich es nicht gemeint.“
„Ach ja, das vergaß ich. Sie spenden Trost, Hoffnung und Ermutigung. Wie drückten Sie sich damals aus? Sie erzählen schwer verwundeten Männern, was sie hören wollen.“
Gekränkt starrte sie ihn an. „Um Ihre Dankbarkeit habe ich nicht gebeten. Niemals.
Für Sie tat ich nicht mehr ...“
„Als für viele Hundert andere, ich weiß es. Oft genug haben Sie es betont.“
„Warum sagen Sie das alles?“
„Können Sie sich nicht an einen Mann gewöhnen, der Ihren Trost gar nicht braucht, Mrs Stowe? Muss ich ans Krankenlager gefesselt sein, damit Sie mich attraktiv finden? Oder einfach nur blind?“
Diesmal erschien ihm das Schweigen beklemmend, denn er wusste, dass er zu weit gegangen war.
Mitten hinein in diese bittere Atmosphäre trat seine Mutter. Ihre zierliche Gestalt in der eleganten graublauen Abendrobe und die weichen blonden Locken bildeten einen prägnanten Kontrast zu der hochgewachsenen dunkelhaarigen Frau in dem einfachen Wollkleid.
„Pardon“, entschuldigte sich Lady Easton, „aber als ich in die Halle ging, hörte ich erhobene Stimmen. Und wenn ich sie höre, mein Lieber, werden sie dem Personal sicher nicht entgehen.“
Den letzten Satz richtete sie an ihren Sohn. Doch dann wandte sie sich sofort zu Isabella und schenkte ihr ein Lächeln.
„Darf ich dir Mrs Stowe vorstellen, Mutter?“, bat Guy. „Isabella – meine Mutter, Lady Easton.“
„Ach, du meine Güte, hat er etwas Unverzeihliches gesagt?“, fragte die Hausherrin.
„Ja, natürlich! Die Männer sind doch alle gleich, meine Liebe. Wie oft sein Vater mir Tränen in die Augen trieb, konnte ich gar nicht zählen.“
Wie Guy erst jetzt merkte, hatte sie recht. Isabella weinte. Und es waren keine reizvollen Tränen. Die hatte seine Mutter vergossen und anmutig mit einem Spitzentüchlein weggewischt, nachdem der Zweck des Gefühlsausbruchs erfüllt worden war.
Isabellas gerötete Nase glänzte. Mit beiden Händen strich sie über ihre nassen Wangen, wegen der Lederhandschuhe ein sinnloses Unterfangen.
„Bella, ich ...“
„Nicht“, fiel sie ihm ins Wort, „ich möchte nur ...“ Zitternd rang sie nach Luft. „Bitte, Mylady, könnte jemand meinen Wagen vorfahren lassen, eine hässliche gelbe Mietkutsche von der Postgesellschaft ...?“
Lady Eastons Blick schweifte zu ihrem Sohn und wieder zu der Besucherin. „Aber Sie sind eben erst angekommen.“
„Trotzdem muss ich sofort abreisen. Nur wegen eines schrecklichen Irrtums kam ich hierher. Ich dachte ... Was ich dachte, spielt keine Rolle. Bitte!“ In diesem letzten flehenden Wort schwang tiefe Verzweiflung mit.
„Ich kümmere mich darum“, versprach Guy und verließ das Zimmer. Was er wissen musste, hatte er erfahren, und er sah keinen Sinn darin, die Farce zu verlängern.
„Warte, Guy!“ Der Protest seiner Mutter folgte ihm in den Flur.
Doch er achtete nicht darauf und erteilte den Dienstboten verschiedene Aufträge.
Ein Lakai holte die Kutsche, ein zweiter sorgte für flauschige Wolldecken, ein dritter für eine Wärmeflasche. Als seine Mutter mit Isabella die Stufen herabstieg, stand der Wagen reisefertig vor dem Haus.
Wie Guy feststellte, waren die Tränen versiegt, ihre Spuren entfernt. Trotz der Szene, die im oberen Stockwerk stattgefunden hatte, wirkte Isabella bemerkenswert gefasst. Sie reichte ihm ihre Hand. Nach kurzem Zögern berührte er ihre Fingerspitzen.
„Tut mir leid, dass ich Sie beim Dinner gestört habe, Lord Easton. Vielen Dank für Ihre Freundlichkeit.“
Ohne zu antworten, neigte er den Kopf und überließ alles Weitere seiner Mutter,
„Hier sind alle Freunde und Bekannten meines Sohnes stets willkommen, meine Liebe“, begann Ihre Ladyschaft. „Warum Sie so überstürzt abreisen, weiß ich nicht ...“
Um den erwarteten Einwand abzuwehren, hob sie eine zarte weiße Hand. „Aber ich verstehe, dass Sie Ihre Gründe haben. Bitte, kommen Sie wieder – Mrs Stowe?
Diesen Namen habe ich schon einmal gehört. Allerdings erinnere ich mich nicht, in welchem Zusammenhang.“ Fragend wandte sie sich zu Guy und schaute ihn mit großen blauen Augen an.
„Vor einiger Zeit erzählte ich dir, eine Frau habe mir versichert, der Verlust meines Sehvermögens würde mein Leben nicht beenden. Sehr viel später fand ich heraus, dass diese Dame Mrs Stowe war.“
„Natürlich!“, rief Lady Easton. „Wie konnte ich das vergessen? So oft sprach Guy von Ihnen, meine Liebe, nachdem er
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