Die verrückteste Nacht meines Lebens (German Edition)
1
19:00 Uhr
Mir kommt so ziemlich alles abhanden. Schlüssel, Portemonnaie, Geld, Bibliotheksbücher. Leute, die mich kennen, nehmen das schon gar nicht mehr ernst. So wie damals, als ich die hundert Dollar verloren hab, die meine Oma mir zu Beginn des Schuljahrs geschenkt hatte, da zuckte Mom mit keiner Wimper. Sie meinte nur: »Ach, Eliza, du hättest das Geld mir geben sollen, damit ich darauf aufpasse«, und dann ging sie einfach zur Tagesordnung über.
Ich versuche, mir deswegen keinen allzu großen Kopf mehr zu machen. Weil nämlich die Sachen, die ich verliere, letztendlich irgendwo wieder auftauchen. Und wenn nicht, dann kann ich mir sie ja immer noch nachkaufen.
Mit Ausnahme meines lila Notizbuchs. Mein lila Notizbuch ist absolut unersetzlich. Da kann ich eben nicht einfach in einen Laden reinmarschieren und mir ein neues kaufen. Und deswegen ist es auch eine Katastrophe, dass ich es jetzt verloren habe, nachdem ich es fünf Jahre lang gehütet habe wie meinen Augapfel (Fünf Jahre! Ich hab noch nie irgendwas fünf Jahre lang durchgehalten!).
»Was tust du da?«, erkundigt sich meine beste Freundin Clarice. Sie sitzt vor meinem Computer und chattet mit ihrer Cousine Jamie. Clarice ist hier heute Morgen um neun aufgetaucht, mit einer Riesentüte voll Cheetos-Erdnussflips und einem Sechserpack Limo. »Lass uns Party machen«, verkündete sie in dem Moment, als ich die Haustür öffnete. Dann drängte sie sich an mir vorbei und marschierte schnurstracks in mein Zimmer.
Ich versuchte ihr zu erklären, dass es viel zu früh am Samstagmorgen war, doch Clarice war das egal, denn sie ist (a) die totale Frühaufsteherin und (b) der Ansicht, das Wochenende könne nicht früh genug beginnen. Meine Eltern sind nämlich heute Abend nicht da, und sie war der Meinung, wir sollten das Beste rausholen aus ihrer sechsunddreißigstündigen Abwesenheit.
»Ich suche nach etwas«, erkläre ich ihr, halb eingezwängt unter meinem Bett. In der Position wühle ich zwischen all den Klamotten, Zetteln und Büchern, die sich irgendwie dort unten angesammelt haben, seit ich das letzte Mal aufgeräumt habe. Und das war, tja, vermutlich vor Monaten. Da berührt meine Hand etwas Festes, Feuchtes. Hm.
»Wonach musst du denn ausgerechnet jetzt suchen?«, will sie wissen. »Wir haben doch alles, was wir brauchen.«
»Wenn du die Erdnussflips meinst«, sage ich, »dann tut’s mir leid, aber ich glaub, ich brauch schon ein bisschen mehr als das.«
»Kein Mensch«, behauptet Clarice daraufhin, »braucht etwas anderes als Cheetos.« Sie nimmt einen Flip aus der Tüte, schiebt ihn sich in den Mund und kaut genüsslich. Clarice ist Südstaatlerin, und aus irgendeinem Grund hatte sie noch nie Cheetos probiert, bevor sie vor einigen Jahren hierher zog. Eines Tages in der Schulcafeteria kamen wir uns bei einer Tüte Flips näher, und seitdem sind wir unzertrennlich. Ich, Clarice und die Cheetos. Nicht zwangsläufig in dieser Reihenfolge.
»Also, wonach suchst du denn?«, fragt sie wieder.
»Nur nach meinem Notizbuch«, sage ich. »Das lilafarbene.«
»Ach sooo«, sagt sie. »Meinst du dein Bioheft?«
»Nein«, erkläre ich.
»Mathe?«, wagt sie einen weiteren Versuch.
»Nein«, sage ich wieder.
»Welches denn dann?«
»Nur so ein Notizheft«, entgegne ich. Ich ignoriere das feuchte, kompakte mysteriöse Objekt unter meinem Bett und beschließe, mich später darum zu kümmern. Na ja, und mit später meine ich im Grunde nie.
»Was für ein Heft ist es denn?«, drängt sie mich erneut.
»Na ja, ein Notizbuch eben«, schwindle ich. Mein Gesicht wird glühend heiß, und ich renne rüber zu meinem Schrank und mache die Tür auf, damit ich ihr den Rücken kehren kann und sie nicht mitkriegt, dass ich total rot angelaufen bin.
Niemand weiß nämlich, was wirklich drinsteht in meinem lila Notizbuch. Nicht Clarice, nicht meine andere beste Freundin, Marissa, nicht einmal meine Schwester Kate. Das Ganze ist einfach viel zu peinlich. Ich meine, mal ehrlich, ein Notizbuch, in dem man alles auflistet, wovor man Angst hat? Schwarz auf weiß?? In Tinte? Wer macht denn so was? Im Grunde ist das ja schon verrückt. Also, so richtig verrückt. Nicht nur: »Oh, das ist ja total charmant und entzückend«-verrückt, sondern eher nach dem Motto: »Wow, die hat offensichtlich ein echt krasses psychisches Problem«.
Aber ich habe mit dem Notizheft angefangen, als ich zwölf war, deswegen ist wohl ein bisschen Nachsicht angebracht, bevor man mir den
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