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07 - komplett

07 - komplett

Titel: 07 - komplett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 4 Romane
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plötzlich etwas leuchtend Rotes in dem dämmrig-grauen Winterlicht. Sie kniff die Augen zusammen und erkannte Captain Heelis, der in seiner roten Uniform dem Wind trotzte und zum Haus blickte. Eine verzweifelte Sehnsucht stand ihm deutlich ins attraktive Gesicht geschrieben.
    Der Anblick zerriss ihr fast das Herz. Sie fühlte Mitleid für ihn und ihre Schwester. Die erste Liebe konnte grausam sein. Sie konnte einem das Herz brechen und einem das Gefühl geben, nur eine leere Hülle zu sein, ein halber Mensch.
    Entschlossen zog Mary den Vorhang vor, als könne sie dadurch nicht nur Captain Heelis, sondern auch all die schmerzlichen Gefühle der Vergangenheit verbergen.
    Ginny und Captain Heelis würden ihre Lektion lernen müssen, ebenso wie sie es hatte lernen müssen. Niemand kam umhin, die entsetzliche Erfahrung eines Verlustes zu machen.
    Als die Dienstboten das Zimmer betraten, um die Kerzen anzuzünden, verließ Mary den Salon und ging nach oben. Sie war froh, dass sie ohnehin beabsichtigt hatten, den Abend zu Hause zu verbringen, denn Ginny war offensichtlich nicht in der Stimmung, um auszugehen. Sie konnte ihre Schwester durch die geschlossene Schlafzimmertür schluchzen hören.
    Doch sie war zu müde, um erneut mit Ginny zu sprechen, die sowieso nie zuhörte.
    Sie kam sich inzwischen vor wie ein Papagei, der immer und immer wieder dieselben Worte wiederholt. Also ging sie hinauf in den zweiten Stock. Wie magisch zog es sie zum Kinderzimmer, obgleich sie sich dessen bewusst war, dass sie dort keinen Trost finden würde. Dennoch betrat sie den kalten dunklen Raum, um sich einen Augenblick lang ihren Erinnerungen hinzugeben.
    Die Luft roch abgestanden nach Einsamkeit und Trauer. In der Ecke stand noch die alte Wiege. Zum Schutz vor Staub war sie mit Laken abgedeckt. In einer anderen Ecke stapelten sich Spielzeuge, und in der Truhe lag immer noch ordentlich gefaltet Wills Kinderkleidung, obwohl seine kleinen Hände nie wieder danach greifen würden.
    Langsam ließ Mary sich in den Schaukelstuhl sinken und blickte in den stillen dämmrigen Raum. Der vertraute quälende Schmerz, der wohl nie ganz verebben würde, schnürte ihr die Brust zusammen. Zwar war er inzwischen schwächer geworden als zu Anfang, da sie glaubte, vor Kummer ebenfalls sterben zu müssen, aber er war immer noch da. Würde sie nie verlassen. Manchmal hatte sie sogar Angst davor, er könne vergehen, und mit ihm alle Erinnerungen, die sie an ihren Sohn hatte.
    Vor über einem Jahr war ihr kleiner Will gestorben. Das Fieber hatte ihn ihr rasch genommen. So viele andere Kinder in London waren derselben Krankheit zum Opfer gefallen. Sicherlich sollte es längst nicht mehr so wehtun. Ihre Mutter drängte sie unablässig, den Blick nach vorn zu richten, wieder zu heiraten und weitere Kinder zu haben. Doch konnte sie das wirklich wagen? Sie hatte ja nicht einmal ein Kind beschützen können.
    Mary sah zu der abgedeckten Wiege, und vor ihrem inneren Auge tauchten Wills dunkle widerspenstige Locken und sein rotwangiges Gesicht auf. Sie erinnerte sich noch genau daran, wie goldig er ausgesehen hatte, wenn er verschlafen „Mama“
    gerufen und die Ärmchen nach ihr ausgestreckt hatte. Zur Schlafenszeit war er immer völlig erschöpft gewesen, so sehr hatte er sich am Tag ausgetobt und das Leben in vollen Zügen genossen. In dieser Hinsicht waren er und Ginny sich sehr ähnlich – beide griffen immer mit beiden Händen und ohne Rücksicht auf die Konsequenzen nach dem, was sie begehrten.
    Mary hatte versucht, sie in ihrem Übermut zu bremsen, versucht, sie zu schützen.
    Indes, sie hatte versagt. Wie sollte sie all das bloß allein bewältigen, wenn sie so unsäglich müde war?
    Fest presste sie die Hand auf die Augen, die vor ungeweinten Tränen brannten. „Es tut mir so leid“, flüsterte sie, nicht wissend, ob sie mit Will sprach, mit Ginny oder mit sich selbst.

2. KAPITEL
    Antike Statuen sind wirklich etwas Wundervolles, dachte Mary, während sie an Marmorgöttern und -göttinnen vorbei durch die Hallen des Britischen Museums schlenderte. Die Statuen waren nicht nur schön, sondern glücklicherweise auch stumm. Keine einzige jammerte oder schluchzte, keine sprang von Gefühlen überwältigt unverhofft beim Frühstück auf und stürmte aus dem Zimmer. Zwar hatten die Götter den alten Sagen zufolge Blitze geschleudert, gestritten und das Leben manch eines Sterblichen ruiniert. Im Britischen Museum indes standen sie einträchtig nebeneinander auf

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