0706 - Das Galgen-Trio
veränderte sich die Szenerie, da sah sie ziemlich normal aus, denn es war nichts Museumshaftes mehr zu sehen.
Der Butler bemerkte meinen erstaunten Blick und setzte zu einer Erklärung an. »Wir befinden uns hier in einem Anbau, Sir. Er ist viel später hinzugekommen.«
»Ah, so ist das.«
Der Butler blieb stehen und zupfte an seiner komischen Weste. »Hier wird Sie Mr. von Aragon auch empfangen.«
»Sehr schön.«
»Kommen Sie.«
Er drehte sich um und schritt auf eine Tür zu, die so gar nichts Tudorhaftes mehr an sich hatte, sondern aus, einem glatten, braunen Holz bestand und eine schlichte Klinke zeigte.
Der Gang, in dem wir standen, war so kahl, daß ich beinahe schon fröstelte. Er hielt keinen Vergleich mit den übrigen Räumen stand. Aber später, als mir der Butler die Tür geöffnet hatte, wurde ich noch mehr überrascht.
Vor mir sah ich einen Raum, den ich trotz der Veränderung des Anbaus nicht erwartet hätte..
Es war ein kleiner Kinosaal.
Fünf Reihen, in einer Reihe jeweils zehn Sitze, eine Leinwand der Tür gegenüber, und der moderne Projektor stand auf einem Gestell. Schon beim Öffnen der Tür hatte sich ein Mann erhoben, der sich jetzt umdrehte, seine weißen Manschetten unter den Ärmeln des beinahe schwarzen Anzugs zurechtzupfte und auf mich einen aristokratischen Eindruck machte, wobei ich nicht wußte, ob nicht auch etwas Überheblichkeit oder Blasiertheit im Spiel war.
Ein spanischer Grande, so schoß es mir durch den Kopf, als der Mann auf mich zukam.
Hochgewachsen, altersmäßig zwischen fünfzig und sechzig, graues dichtes Haar, an den Schläfen leicht gelichtet, scharfe Gesichtszüge, beinahe schon asketisch, und dunkle, sehr dunkle Augen, die mich an tiefe Teiche erinnerten, als sie mich musterten.
Alles saß bei ihm korrekt. Da kam ich mir mit meinem dünnen, lachsfarbenen Sommerjackett, der weißen Hose und dem schwarzen Waschseidenhemd ohne Krawatte ziemlich popelig vor.
Der Butler tat seine Pflicht und stellte uns vor.
»Danke, William, Sie können Ihren Platz einnehmen.«
»Sehr wohl, Sir.«
Claus von Aragon reichte mir die Hand. Sehr schmal, mit gebräunter Haut, aber sehr kräftig. »Ich freue mich, daß Sie trotz dieser späten Stunde den Weg zu mir gefunden haben, Mr. Sinclair.«
»Ein anderer Termin war ja nicht möglich.«
»Da sagen Sie etwas.« Er drehte sich halb und deutete auf die erste Reihe. »Ich würde vorschlagen, Mr. Sinclair, daß wir uns dorthin setzen.«
»Gut. Wollen Sie mir einen Film zeigen?«
»In der Tat, Mr. Sinclair. Aber keine Angst, er wird nicht sehr lange dauern. Anschließend können wir darüber reden.«
»Gut, Sie sind der Chef.«
Während ich auf die erste Reihe zuging, dachte ich über den Mann nach. Soviel ich erfahren hatte, war er nicht nur Gesandter seines Landes, er gehörte auch zu den Menschen, die schon von Geburt an reich gewesen waren. Seine Vorfahren hatten das Vermögen gemacht und er - nebenbei noch in der Touristikbranche tätig - war dabei, es zu vermehren.
Die Stühle waren dick gepolstert. Logenplätze in den neuesten Kinos hätten nicht besser sein können. »Wenn Sie etwas trinken möchten, Mr. Sinclair, wird William Ihnen gern ein Getränk bringen.«
Ich dachte an den langen Weg, den der Butler hätte zurücklegen müssen, und lehnte mit höflichen Worten ab.
»Gut, dann werden wir uns später unterhalten.« Er zupfte seine Bügelfalte zurecht, hob einen Arm an und gab seinem Butler somit ein Zeichen.
Es war wie im richtigen Kino, denn ebenso sacht und langsam verlöschte das Licht.
Dunkelheit lullte mich ein. Sie war so dicht, daß ich beinahe erschreckte. Daß der spanische Grande neben mir saß, konnte ich riechen. Sein Rasierwasser oder Parfüm duftete mir entgegen. Nicht mein Geschmack.
Hinter mir erklang ein leises Summen, dann durchbrach der Lichtstrahl die Finsternis, auf der Leinwand erschienen Zahlen, und sehr bald begann der Film.
Claus von Aragon flüsterte mir etwas zu. »Es ist ein ungewöhnlicher Film, Mr. Sinclair, und gleichzeitig ein dokumentarischer. Sie sollten ihn sich gut ansehen, er zeigt auch ein Stück meiner Heimat, es ist die Costa de la Luz.«
»Spanien, nehme ich an.«
»Sicher.«
»Und wo, bitte.«
Ich hörte ihn leise lachen. »Das fragen mich die meisten. Nicht dort, wo sich die Touristen zu Tausenden hin verirren. Nein, meine Heimat ist noch echt. Es ist der südwestliche Teil Spaniens, praktisch das Land zwischen Portugal und Gibraltar, wo ja noch immer Ihre
Weitere Kostenlose Bücher