073 - Der Gehenkte von Dartmoor
Furche.
Es war der
Gehängte.
Plötzlich
stieß der alte Waters einen markerschütternden Schrei aus. »Sehen Sie doch, man
hat ihm eine Hand abgehackt!«
●
Larry Brent
liebte die intimen chinesischen Restaurants in Soho. Hier hatte er immer das
Gefühl, mitten in dem ungeheuren Menschenmeer, das sich London nennt, auf einer
stillen Insel zu leben. Die einzige Verbindung zur Außenwelt war der befrackte
Kellner, der schweigend hin- und herhuschte und die Fähigkeit besaß, die
Wünsche seines Gastes bereits zu kennen, bevor sie dieser ausgesprochen hatte.
Larry Brent
war nicht allein. An seinem Tisch in einer verborgenen Nische, umgeben von der
Behaglichkeit eines matten Ampellichtes, das auf das blütenweiße Tischtuch, die
silbernen Bestecke und das kostbare Porzellan fiel, saß Chiefinspektor Edward
Higgins von Scotland Yard, sein vertrauter Kollege bei den Briten, dem die
Existenz der PSA bekannt war. X-RAY-3 hatte bereits mehrfach mit Higgins zu tun
gehabt, und er schätzte den unerhört erfahrenen Mann, der blitzschnell zu
handeln verstand, in besonderem Maß.
Sein heutiges
Zusammensein mit dem Chiefinspektor hatte keinen besonderen Anlaß. Larry Brent
hatte Higgins seit mehreren Wochen nicht gesehen, und das war Grund genug, ihn
wieder einmal zu einem Gedankenaustausch einzuladen.
Die beiden
Kriminalisten hatten vorzüglich gespeist, und Higgins war gerade dabei, seine
Pfeife zu stopfen, als der Kellner lautlos an ihren Tisch trat, ein Telefon
brachte und sich an den Chiefinspektor wandte: »Bitten vielmals um Verzeihung,
Mr. Higgins?«
»Ja, so heiße
ich.«
»Ein Gespräch
für Sie, Sir!«
»Danke!«
Während der
Kellner wie ein Schatten verschwand, griff Higgins nach dem Hörer. Er lauschte
und sagte zweimal: »Ausgezeichnet!« Dann fügte er hinzu: »Ich fahre morgen
selbst, Inspektor Pain soll sich bereithalten!« und legte nach kurzem Gruß auf.
Er wandte sich an Larry Brent.
»Entschuldigen
Sie, Larry, aber mein Büro mußte mir die Neuigkeit sogleich mitteilen. Die
Grafschaftspolizei von Devonshire ist endlich knieweich geworden und hat uns,
Scotland Yard, den Fall übertragen.«
»Um was geht
es denn, Edward?« fragte Larry Brent.
»Sie kennen
Princetown?«
»Das
Zuchthaus von Dartmoor?«
»Ja, das
meine ich. Obwohl es schon zu Zeiten Napoleons gebaut wurde – es diente damals
als Lager für französische Kriegsgefangene – ist es in den vielen Jahren nur
ganz wenigen Menschen gelungen, aus Princetown zu entkommen. Aber jetzt…«
»Ja?«
»… hat sich
das grundlegend geändert. In den letzten fünf Monaten sind nicht weniger als 19
Zuchthäusler entkommen, und zwar auf sehr geheimnisvolle Weise. Sie sind
spurlos verschwunden! Man hat bis jetzt nicht einen einzigen wieder einfangen
können. Vielleicht sind sie auf dem Kontinent untergetaucht, oder sie sitzen
hier in Soho, in sicheren Verstecken, und lachen mich aus, wie ich in Ihrer
Gesellschaft heißen Reiswein trinke.«
»Dabei gilt
doch gerade Princetown praktisch als ausbruchssicher.«
»Sie
entkommen auch nicht aus dem Zuchthaus. Das geschieht vielmehr regelmäßig bei
Arbeiten im Steinbruch. Man hat die Wachen verdoppelt und verdreifacht.
Vergeblich! Es fehlen immer wieder einige Häftlinge. Als hätten sie sich in
Luft aufgelöst. Man steht in Princetown vor einem Rätsel.«
»Und wenn man
die Arbeiten im Steinbruch einstellen würde?«
»Das sagen
Sie so leichthin, Larry. Das wäre ein schwerer Verstoß gegen die britische
Tradition! Vergessen Sie nicht, daß zum Beispiel unser New Scotland Yard so um
1910 herum am Themseufer aus schwarzen Granitsteinen gebaut wurde, die die
Häftlinge aus dem Dartmoorer Steinbruch herausholten. Nein, so fix geht das bei
uns nicht! Wunder genug, daß sich die Polizei von Devonshire jetzt doch dazu
durchgerungen hat, Scotland Yard die ganze Sache zu übertragen.«
»Und Sie
wollen, wenn ich Sie vorhin am Telefon recht verstanden habe, den Fall selbst
übernehmen?«
»Ja, weil er
nämlich eine ganz faule Sache ist. Die 19 Ausbrecher sind durchweg
Schwerkriminelle, Mörder und Totschläger, Verbrecher, die in Freiheit
tatsächlich eine ernste Gefahr für unsere Bürger bedeuten. Wir müssen das
geheime Loch, das sich hier aufgetan hat, möglichst bald zustopfen, und wir
müssen versuchen, herauszubekommen, wohin die Ausbrecher sich gewendet haben.
Schade, daß man uns erst jetzt angeht… Übrigens, Larry, sagen Sie, wollen Sie
mitkommen?«
»Sie werden
morgen
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