08-Die Abschussliste
Ich konnte wummernde Musik aus der Bar hören. Um das Gebäude
herum parkten die Autos in Dreierreihen. Die gesamte Fläche lag im schwefelgelben Licht von Natriumdampflampen. Die Nachtluft war kalt, und dünne Nebelschwaden zogen über den Parkplatz. Das Motel selbst stand genau gegenüber der Tankstelle auf der anderen Straßenseite. Es war ein etwas von der Straße zurückgesetztes Gebäude, ziemlich heruntergekommen, ungefähr zwanzig Zimmer lang. Sein Anstrich war an vielen Stellen abgeblättert. Es schien leer zu sein. Am linken Ende des Gebäudes befand sich das Büro mit einem angedeuteten Vordach, unter dem kaum ein Wagen Platz fand, und einem summenden Colaautomaten.
Erste Frage: Weshalb hatte ein Zweisternegeneral sich in einer solchen Bruchbude einquartiert? Ich war mir ziemlich sicher, dass es keine Ermittlungen des Verteidigungsministeriums gegeben hätte, wenn es in einem Holiday Inn passiert wäre.
Vor dem vorletzten Zimmer des Motels parkten zwei Streifenwagen der hiesigen Polizei. Zwischen ihnen war eine unscheinbare kleine Limousine eingeklemmt. Der Wagen hatte beschlagene Scheiben. Ein roter Ford, das vierzylindrige Basismodell mit schmalen Reifen und Radkappen aus Kunststoff. Todsicher ein Leihwagen. Ich parkte das Humvee neben dem rechten Streifenwagen und stieg aus. Die Musik von der gegenüberliegenden Straßenseite war jetzt lauter zu hören. Im vorletzten Zimmer brannte kein Licht, und die Tür stand offen. Anscheinend versuchten die Cops, die Zimmertemperatur möglichst niedrig zu halten. Damit der Kerl nicht überreif wurde. Ich war begierig darauf, ihn mir anzusehen. Ich wusste ziemlich sicher, dass ich noch nie einen toten General gesehen hatte.
Drei Cops blieben in ihren Wagen, nur einer stieg aus, um mit mir zu reden. Er trug eine gelbbraune Uniform mit kurzer Lederjacke, deren Reißverschluss er bis unters Kinn gezogen hatte. Keine Mütze. Die Plaketten an seiner Jacke sagten mir, dass sein Name Stockton und sein Dienstgrad Deputy Chief war. Er war grauhaarig, ungefähr fünfzig, mittelgroß und etwas
schwammig und dicklich, aber die Art, wie er die Abzeichen an meiner Jacke musterte, deutete darauf hin, dass er - wie so viele Cops - ein ehemaliger Soldat war.
»Major«, sagte er als Begrüßung.
Ich nickte. Ein Veteran, kein Zweifel. Als Major trägt man kleine goldene Eichenblätter mit ungefähr einem Zoll Durchmesser - auf beiden Schulterstücken je eins. Dieser Kerl sah sie von seitlich schräg unten, was nicht der beste Blickwinkel war. Aber er wusste, was sie bedeuteten. Also hatte er von Dienstgradabzeichen Ahnung. Und ich erkannte seine Stimme. Er war der Mann, der mich fünf Sekunden nach Mitternacht angerufen hatte.
»Ich bin Rick Stockton«, sagte er. »Deputy Chief.«
Er wirkte ruhig und gelassen. Er hatte schon früher Herztote gesehen.
»Ich bin Jack Reacher«, sagte ich. »Heute Nacht der MP-Offizier vom Dienst.«
Er erkannte seinerseits meine Stimme. Lächelte.
»Sie sind also doch rausgekommen.«
»Sie haben mir nicht gesagt, dass der Tote ein Zweisternegeneral ist.«
»Nun, das ist er.«
»Ich hab noch nie einen toten General gesehen«, meinte ich.
»Das haben noch nicht viele Leute«, sagte er, und sein Tonfall ließ mich vermuten, er komme aus dem Mannschaftsstand.
»Army?«, fragte ich.
»Marine Corps«, sagte er. »First Sergeant.«
»Mein Alter war auch Marineinfanterist«, erklärte ich. Das erwähne ich bei jedem Gespräch mit Marineinfanteristen. Es verleiht mir eine Art genetischer Legitimität. Hindert sie daran, mich für einen reinen Schreibtischhengst aus der Army zu halten. Aber ich drücke mich bewusst vage aus. Ich erzähle ihnen nicht, dass mein Alter zuletzt Hauptmann war. Die Ansichten von Mannschaften und Offizieren stimmen nicht automatisch überein.
»Humvee«, stellte er fest.
Er begutachtete mein Fahrzeug.
»Gefällt’s Ihnen?«
Er nickte. Humvee war die beste phonetische Umschreibung für HMMV, was High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle (hoch bewegliches Mehrzweck-Radfahrzeug) bedeutet, womit ziemlich alles gesagt ist. Bei der Army gilt im Allgemeinen, dass drin ist, was draufsteht.
»Funktioniert wie angepriesen«, sagte ich.
»Bisschen breit«, meinte er. »Ich würde damit nicht in einer Stadt rumfahren wollen.«
»Sie hätten Panzer vor sich«, sagte ich. »Die würden Ihnen den Weg frei machen. Das wäre im Prinzip der Plan, denke ich.«
Die Musik aus der Bar wummerte weiter. Stockton schwieg.
»Sehen wir
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