0839 - Ruhe sanft und komm nie wieder
Zugs.
Tatsächlich vergingen nur Sekunden, bis der Zug anfuhr.
Das übliche Zittern, der Kampf ums Gleichgewicht, all das kannte ich schon, aber ich hatte leider keine Chance, Sellnick anzugreifen und ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen.
Er blieb in der Siegerpose.
Aber er schielte wieder nach oben. Die Vorderzähne hatte er in seine Unterlippe gebohrt. Es war selbst bei mir zu sehen, wie ihn die Spannung erfaßt hielt. Er hatte seinen Killer losgeschickt, um die Gefahr auf dem Dach aus dem Weg zu räumen.
Schaffte Grundel es - schaffte er es nicht?
Auch ich war nicht so ruhig, wie es aussah. Aber ich verkniff mir die Fragen, wobei ich hin und wieder Jane Collins mit einem kurzen prüfenden Blick bedachte, was ihr ebenfalls nicht entgangen war. Sie spielte uns allen etwas vor. So down, wie sich Jane gab, war sie in Wirklichkeit nicht, denn auch mir war das knappe Lächeln aufgefallen, das um ihren Mund huschte, wenn ich sie anschaute.
Es ging ihr also besser.
Wie ich Jane kannte, drehten sich ihre Gedanken sicherlich schon um eine Befreiung aus dieser verdammten Lage. Gemeinsam konnten wir es möglicherweise schaffen.
Noch mußten wir warten, denn die unbekannte Größe spielte sich auf dem Dach ab, wenn überhaupt.
Als wir den Bahnhof verlassen hatten und der Zug schneller fuhr, umwehte uns bald wieder das monotone Rauschen, an das ich mich schon gewöhnt hatte. Mich machte es nicht nervös, denn ich hatte es gelernt, cool zu bleiben. Henry O. Sellnick dagegen strahlte längst nicht mehr die Ruhe aus, die ich von ihm kannte.
Immer wieder blickte er zur Decke.
»Sie wäre besser aus Glas, nicht?«
Zischend holte er Luft. Sein Gesicht strahlte die Wut ab, die er bei meinen Worten empfunden hatte.
Er öffnete den Mund, und es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn ich plötzlich zwei lange Fangzähne entdeckt hätte.
»Noch ein Wort, Sinclair, und du bist tot!«
»Schon gut.«
Ich hörte ein Knurren. Alvin hatte es ausgestoßen. Auch er war nervös geworden. Er zielte zwar auf Jane, aber er blickte seinen Chef dabei an. »Grundel ist oben!« flüsterte er. »Ich spüre es.«
»Und? Was ist noch?«
»Ich weiß es nicht.«
»Darf ich aufstehen?«
Janes Frage holte uns wieder zurück in die Realität. Sie war schon dabei, sich hinzustellen, aber sie hielt noch immer ihre Hände gegen den Leib gepreßt.
»Was willst du?« herrschte Sellnick sie an.
»Mir ist schlecht - übel… der Schlag in den Magen. Ich kann ihn nicht verkraften.«
»Reiß dich zusammen!«
Sie schüttelte den Kopf. Ohne auf Alvins Waffe zu achten, torkelte sie vor, den Blick starr zu Boden gerichtet.
Alvin war verunsichert. Er wußte nicht, wie er reagieren sollte.
Jane ging weiter. Dabei drehte sich ihr Körper. Sie löste einen Arm von ihrem Leib und streckte ihn dann in die Höhe, als wollte sie dort irgend etwas greifen.
Selbst ich wußte zu diesem Zeitpunkt nicht, was sie vorhatte, beobachtete sie aber genau.
Jane fiel gegen die Wand. Dabei behielt sie den Arm oben, die Finger gestreckt und in ein Halbdunkel hineingreifend, wo sich etwas befand, das nur sie bisher gesehen hatte, weil er nur bei genauem Hinsehen zu entdecken war.
Ein Griff.
Kein Haltegriff.
Eine Notbremse!
Janes Hand schnappte zu. Die Finger umschlossen ihn, der Ruck, und plötzlich wurde alles anders…
***
Der Zug fuhr wieder!
Flach lag Grundel auf dem Dach eines Wagens. Er hatte sich viel Zeit gelassen, was ihm jetzt zugute kam, denn wenn er nach vorn schaute, konnte er genau erkennen, daß sich auf dem Dach des anderen Wagens ebenfalls eine Gestalt befand.
Auch sie hatte sich gegen die harte Unterlippe gepreßt und regte sich erst, als der Wagen den Bahnhof verlassen hatte, die Randbezirke der Stadt erreichte und in diese graue Dunkelheit hineintauchte, die ihn umschloß wie ein Tunnel.
Die Geschwindigkeit steigerte sich, der Fahrtwind nahm zu. Kalte Luft schwappte gegen Grundels Gesicht und floß in seinen offenen Mund.
Er ging auf Nummer Sicher.
Um sich an die Schwankungen des Zuges zu gewöhnen, ließ er zwei Minuten vergehen. Erst dann schob er seine ausgebreiteten Arme und Beine zusammen, stemmte sich ab und drückte den Oberkörper langsam in die Höhe, wobei er die noch immer flach auf dem Dach liegende Gestalt nicht aus den Augen ließ.
Der Killer Grundel erhob sich. Es war seine erste Reise auf dem Dach eines fahrenden Zugs, dementsprechend vorsichtig ging er damit um. Auf keinen Fall durfte er auf der feuchten Fläche
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