0886 - Welt der Suskohnen
gewachsen und später durch eine unbegreifliche Macht verändert worden waren.
Doch für die Gebilde auf dem Dach hatte er kaum mehr als einen Blick. Ihn interessierte allein, was sich unter dem Dach befand. Es war das geheimnisvolle Etwas, von dem der Schamane gesprochen hatte. Dieses Ding wurde in zahllosen Sagen und Märchen des Stammes beschrieben, und doch war es ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte.
Es stand in einem Loch, das einen Durchmesser von mehreren tausend Schritten haben mußte, und das unergründlich tief war. Cadaer vermutete, daß das Ding eine Kugel von gigantischen Ausmaßen war, die in diesem Loch ruhte. „Wo ist Comain?" fragte er. „Er ist im Boden versunken", antwortete Satain. „Auch er hat das IT nicht gehabt, denn sonst hätte er der Kraft widerstanden."
Er stieß Cadaer mit der Faust an. „Begreifst du denn nicht?" fragte er und blickte ihn mit strahlenden Augen. „Du und ich. Wir haben das IT. Wir haben die Kraft in uns, die uns über alle anderen Menschen erhebt, und die uns sogar im Herzen der Ungewißheit Gewißheit gibt."
Cadaer nickte nur.
Er zeigte auf das Ding, das sich in dem Loch erhob. Auf der Oberseite hatte sich Sand abgelagert, der vom Wind unter das Dach geweht worden war. Flechten bildeten einen dichten Teppich, so daß nicht zu erkennen war, wie das Material darunter beschaffen war. Weiter unten hingen die Austriebe der Flechten wie Schleier herunter, so daß sie das Ding auch hier verhüllten. Und noch tiefer war überhaupt nichts zu erkennen, da der Grund im Dunkel verborgen lag.
Eine zierliche Brücke aus Metall führte von dem Pfeiler schräg in die Tiefe hin zu dem Ding. „Mich interessiert nur das da", sagte Cadaer. „Sonst nichts."
„Wir sind hier, weil wir das Muster vollenden sollen. Also geh weiter."
Cadaer betrat die Brücke. Sie erzitterte leicht unter seinen Füßen, und es schien, als antworteten die Kristalle auf dem Dach mit einem feinen Klirren darauf. „Schneller", sagte Satain drängend.
Cadaer fühlte, daß sich etwas veränderte. Ein kühler Wind strich über ihn hinweg. Er hörte Satain hinter sich atmen. Aus dem Schimmernden Wald kam ein drohendes Knurren wie von einer Raubkatze.
Cadaer rannte, bis er die herabhängenden Flechten erreicht hatte. Vor ihm surrte etwas. Fassungslos blickte er auf eine Wand, die sich zur Seite schob. Dahinter öffnete sich ihm ein erleuchteter Gang, der ins Endlose zu führen schien. „Schnell", bat Satain. Seine Stimme bebte. „Ich weiß, daß etwas passieren wird, wenn wir uns nicht beeilen."
Cadaer überwand seine instinktive Furcht, stieß die Flechten zur Seite und betrat den Gang. Satain blieb hautnah bei ihm. Hinter ihnen glitt die Wand wieder in ihre ursprüngliche Lage zurück und schloß sich. „Ich glaube, die größte Gefahr ist überwunden", sagte Satain. „Uns passiert nichts", erwiderte Cadaer. „Los. Weiter."
„Wir haben das IT", stellte Satain befriedigt fest. „Es wäre das erste Mal, daß zwei Erwählte das IT haben", gab Cadaer zu bedenken, während sie über den Gang weitereilten. „Wir haben es alle beide. Warum auch nicht? Nur, weil es noch nicht dagewesen ist?"
„Wir sind noch nicht am Ziel. Und wenn wir das Ziel erreichen, ohne daß etwas passiert, müssen wir durch den Schimmernden Wald zurück. Dort kann es uns immer noch erwischen."
Satain legte ihm die Hand auf die Schulter. Er grinste. „Dich vielleicht", sagte er. „Mich nicht. Ich bin mir dessen ganz sicher. Ich habe das IT."
Cadaer antwortete nicht. Er eilte weiter.
Seine Blicke glitten an der fugenlosen Wand entlang. Er hätte noch nie ein Material wie dieses gesehen. An der Küste, an der er groß geworden war, gab es so etwas nicht. Man baute mit Steinen und Mörtel. Dennoch machte er sich keine großen Gedanken um das, was er sah.
Er befand sich im Herzen der Ungewißheit. Das war für ihn gleichbedeutend mit einem für Sterbliche eigentlich nicht erreichbaren Heiligtum, von dem niemand wirklich wußte, ob es existierte oder nicht.
Die Erwählten, die aus dem Herzen der Ungewißheit zurückgekehrt waren, hatten niemals ganz klar bestätigt, daß es wirklich da war. Cadaer fragte sich, ob er anders handeln würde, oder ob auch er ausweichende Antworten geben würde.
Er vermutete, daß der Schamane ihm noch Anweisungen geben würde. Mehr denn je wurde er sich dessen bewußt, daß die Macht des Schamanen zur Hauptsache darauf beruhte, daß er sich mit Geheimnissen umgab.
Der Gang endete
Weitere Kostenlose Bücher