0901 - Kampf um die Schwefelklüfte
Professor Zamorra saß zusammengesunken in einem Sessel im Kaminzimmer von Château Montagne. Er starrte auf die Flammen, die im Kamin hoch züngelten und derzeit die einzige Beleuchtungsquelle des Raumes darstellten. Trotzdem sah er nichts von der lodernden Glut, denn seine Gedanken befanden sich weit entfernt.
Seine Zähne mahlten aufeinander, während er an die jüngste Katastrophe dachte. Er konnte nicht fassen, was passiert war.
»Merlin ist tot«, murmelte er und schüttelte den Kopf, als wollte er diese Tatsache nicht glauben, obwohl er keine drei Meter neben dem Zauberer gestanden hatte, als dieser gestorben war. »Ausgerechnet er, von dem wir glaubten, dass er ewig lebt…«
Und dann noch auf diese Art! , schoss es ihm durch den Kopf. Lucifuge Rofocale, der Stadthalter von LUZIFER, dem Kaiser der Schwefelklüfte, hatte den König der Druiden schon zum zweiten Mal angegriffen - und umgebracht. Zamorra musste sich das immer wieder ins Gedächtnis rufen. Dennoch fiel es ihm schwer, es zu glauben. Und dieses Mal war Merlin endgültig gestorben, ohne irgendeine Chance darauf, wieder zum Leben erweckt zu werden. Nicht einmal seine Regenartionskammer in Caermardhin würde dem alten Zauberer noch helfen können. Merlin hatte Zamorra bei Rofocales Angriff auf Tendyke Industries in El Paso das Leben gerettet, ehe er starb, indem er seine Restmagie noch auf ihn übertrug.
Zamorra lächelte wehmütig, als er an Merlins letzte Worte dachte: » Gehe vorsichtig mit der Macht um, die ich dir auf Zeit anvertraue - es ist vielleicht mehr in ihr, als du vertragen kannst. Und nun lebe wohl, Caudillo der letzten Tafelrunde. Nimm mein Geschenk…«
Der Meister des Übersinnlichen erschauerte, als er an diese letzten Worte Merlins dachte. Dieses Geschenk waren die letzten magischen Reserven gewesen, die der alte Zauberer auf Zamorra übertragen hatte und Zamorra fragte sich, was Merlin damit bezweckt hatte.
Eigentlich hatte Lucifuge Rofocale den Zauberer Merlin Ambrosius schon vor genau zwei Jahren umgebracht, als er ihm mit der eigenen Sichel die Kehle durchgeschnitten hatte. Doch nachdem Merlin in seine Regenerationskammer gebracht worden war, hatten Zamorra und seine Freunde die Hoffnung gehabt, dass der Zauberer von Avalon sich langsam wieder erholen würde. [1]
Umsonst gehofft , dachte Zamorra resignierend. Und dennoch… man wünscht sich doch immer ein Wunder…
Ein Wunder, das natürlich nicht geschehen konnte.
Butler William hatte schon vor einiger Zeit eine Flasche halbtrockenen Rotwein aus dem Keller geholt, das edle Getränk zur Entfaltung des Bouquets in eine Karaffe umgefüllt und die Karaffe sowie ein zu einem Viertel gefüllten Glas auf den Tisch neben Zamorra gestellt. Doch diese umsichtige Geste hatte der Meister des Übersinnlichen nicht wahrgenommen.
Er blieb in seinen ebenso traurigen wie auch zornigen Gedanken gefangen.
»Merlin ist tot«, hauchte er erneut und bemerkte nicht, wie sich langsam Wut in seine Fassungslosigkeit mischte.
Warum gerade er? Er hatte doch seine Aufgabe noch lange nicht erfüllt! Er wird als Diener des Wächters der Schicksalswaage doch noch gebraucht! Wer sonst sollte wohl seinen Platz einnehmen! Ich bin dem einfach nicht gewachsen, trotz Merlins ›Geschenk‹. Ich bin nur ein Mensch!
Dafür hatte ein Bote des Wächters der Schicksalswaage Zamorra gestern Abend besucht und ihm einen Vorschlag unterbreitet, der dem Parapsychologen Magenschmerzen bereitete: »… zur Zeit ist die Restmagie vom toten Diener in dir, also bitten wir dich, seine Aufgaben für einen kurzen Zeitraum zu übernehmen. Die Suche wird nur von kurzer Dauer sein, das ist ein Versprechen… «
Zamorra hoffte inständig, dass baldmöglichst ein Nachfolger gefunden wurde, denn die Rolle des Dieners würde auf Dauer sein eigenes magisches Potential übersteigen. Ihm war sofort jemand eingefallen, der prädestiniert für den vakanten Posten war. Aber an demjenigen würden sich die Boten des Wächters wahrscheinlich die Zähne ausbeißen. Und die Frage war ja auch, ob derjenige, an den Zamorra dachte, in den Augen des Wächters der Schicksalswaage auch so geeignet sein würde wie in seinen eigenen.
Ich würde gern wissen, was der Bote unternimmt, um mich zu ersetzen , dachte Zamorra grimmig. Ehrlich gestanden, würde ich auch mit der unwahrscheinlichsten Wahl von allen zurechtkommen - wenn ich diese Verantwortung nur nicht selbst tragen muss.
Zamorras Gedanken schweiften ab in die gemeinsame Vergangenheit
Weitere Kostenlose Bücher