0916 - Feuerengel
alte Lächeln.
Meine Eltern begrüßten sich. Ich stand ein wenig verlegen daneben, dann umarmte auch ich meinen alten Herrn, und er nickte mir zu. »Mist, wenn man alt wird, oder?«
»Alt?« fragte ich.
»Da wollen die Knochen nicht so wie früher. Wäre ich jünger gewesen, läge ich jetzt nicht hier.«
»Das kannst du auch nicht sagen.« Ich deutete auf seinen Verband, der die Schulter und einen Teil des Arms umspannte. Am Tropf hing er nicht. »Ist sonst alles okay?«
»Ja, Junge, es tut nur weh, wenn ich lache.«
Ich trug einen Stuhl in die Nähe des Betts, damit sich meine Mutter setzen konnte.
»Nur - die Ärzte sind regelrechte Hundesöhne!« schimpfte mein alter Herr.
»Horace, das kannst du nicht sagen.«
»Doch, Mary, doch. Glaubst du denn, die sagen mir, wann ich hier endlich rauskomme.«
»Vielleicht können sie das noch gar nicht.«
»Können nicht oder wollen nicht?«
»Keine Ahnung, aber ich würde ihnen an deiner Stelle vertrauen. Außerdem habe ich unten im Seitentrakt für eine Woche ein Zimmer gemietet. Ich werde jetzt wohl öfter bei dir sein, Horace.«
»Danke, das ist nett.«
Meine Mutter hielt die Hände ihres Mannes umfaßt, und ich, der ich etwas abseits stand, kam mir irgendwie überflüssig vor. Deshalb sagte ich auch: »Ich schaue mich draußen mal ein wenig um, Dad.«
»Hast du was Besonderes vor?«
»Wieso? Wie kommst du darauf?«
»Weil ich dich kenne, Junge.«
»John möchte mit einem Arzt sprechen.«
Mit der gesunden Hand winkte mein Vater ab. »Ach, das hat doch keinen Sinn. Die Weißkittel lügen alle. Außerdem sind sie um diese Zeit bei einer Besprechung oder wie immer sie das nennen.«
»Trotzdem schaue ich mal nach. Bis gleich.«
»Okay, Junge, du hast den gleichen Dickkopf wie ich.«
»Das stimmt leider«, gab meine Mutter seufzend zu, die des öfteren unter uns beiden gelitten hatte.
Ich verließ mit einem Lächeln auf den Lippen das Zimmer. Im Flur war es leer, aber nicht ganz still, denn irgendwo dudelte leise ein Radio. Wahrscheinlich drang die Musik aus dem Schwesternzimmer, und ich machte mich dorthin auf den Weg. Die Türen zu den Zimmern auf dieser Station waren geschlossen. Es war die Zeit nach der Visite und kurz vor dem Mittagessen. Da herrschte immer eine gewisse Ruhe.
Schwestern und Ärzte pausierten in einem Zimmer. Dezente Musik und Kaffeeduft wiesen mir den Weg. Die Tür stand halb offen, ich klopfte trotzdem an, die Musik verstummte, dann hörte ich die Stimme.
»Ja bitte.«
Ich trat ein und hatte vor, etwas zu sagen, doch das Wort blieb mir im Hals stecken, was einzig und allein an der Schwester lag, die sich gedreht hatte und langsam von ihrem Stuhl aufstand.
Ihr Anblick traf mich wie ein Schlag!
***
Lino Davenport hörte die Musik. Er war sich allerdings nicht sicher, ob er sie sich nun eingebildet hatte oder ob sie tatsächlich an seine Ohren klang.
Es war für ihn auch nur zweitrangig, denn wichtig war allein die Person neben ihm auf dem Bett, wobei er sich nicht sicher war, ob er es mit einem Menschen oder mit einem zweibeinigen Raubtier zu tun hatte, denn Leila war eigentlich beides.
Er hatte alles getan, was sie wollte. Er trug keinen Faden mehr am Leib, lag auf dem Rücken und schaute dabei zur Decke, wo sich die winzigen Lichter zu einem künstlichen Sternenhimmel vereinigten, und er gab sich ganz dem hin, was die streichelnden Hände mit ihm taten. Manchmal wußte er nicht, ob er träumte oder wach lag. Er wollte sich immer wieder zusammenreißen, aber jedesmal kam es ihm vor, als hätte Leila seine Gedanken gelesen, denn dann lenkte sie ihn wieder mit neuen Tricks und Angriffen ab.
Davenport kam sich vor wie berauscht. Er lag da, flog aber gleichzeitig davon. Er segelte hinein in ein Land der Phantasie, getragen von einer Wolke aus streichelnden Fingern, geflüsterten Worten und einem Schatten, der sich mal neben und mal über ihm bewegte.
Manchmal konnte er nicht unterscheiden, ob er einen Traum oder die Wahrheit erlebte. Die Luft schien jetzt mit bestimmten exotischen Düften geschwängert zu sein. Er atmete sie ein. Sie gaukelte ihm Bilder vor, die nicht vorhanden waren. Dann sah er die Wände zu Schatten zerfließen, aus denen sich immer wieder etwas hervorschob, das so fratzenhaft und schief wirkte, als hätten irgendwelche Dämonen plötzlich Gestalt angenommen.
Böse Geister, die fremden Welten entstiegen waren und ihn überschwemmten.
Alles war anders geworden. Lino Davenport besuchte nicht zum erstenmal
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