0973 - Der verhexte Blutwald
»abstürzen«.
Der Ort, an dem er stand, lag nicht mehr weit von seinem eigentlichen Ziel entfernt. Er wußte es, auch wenn er den exakten Standort noch nicht kannte.
Aber das machte ihm nichts aus. Es gab andere Dinge, die wichtiger waren.
Dunkelheit schützte ihn und seinen schwarzen Volvo 440. Er war von der schmalen Straße abgefahren und einen holprigen Weg bis zu seinem Ende gefolgt, wo er sich jetzt aufhielt. Im Licht der Innenbeleuchtung hatte er das schlichte Notizbuch aufgeblättert und schaute sich eine Reihe von Seiten an, die mit Informationen gespickt worden waren.
Es ging um Doug Kinny!
Er war der Gejagte. Das zweibeinige Wild, das Perry Cameron hetzen und in die Enge treiben würde. Dann mußte er sterben, denn so war es beschlossen, und die IRA hatte einen ihrer besten geschickt, eben Perry Cameron.
Man sprach zwar vom Frieden, es wurde auch nicht mehr soviel gebombt wie früher, aber gewisse Dinge mußten trotzdem aufgearbeitet werden. Dazu gehörte Kinny.
Er war jemand, der alle an der Nase herumgeführt hatte. Zumindest für ein paar Jahre. Aber der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht, und diesmal war der Krug gebrochen. Cameron wollte die Scherben aufsammeln, um sie endgültig zu zertrümmern. Zwischen den Sitzen versteckt lag seine »Braut«, eine mörderische Pump Gun, dieses Schrotgewehr, das Menschen aus kurzer Distanz in Stücke schießt.
Cameron ging damit um wie ein Ober mit dem Geschirr, wenn er einen Tisch zu decken hatte. Souverän.
Am Körper trug er noch eine 38er Magnum. Ebenfalls ein Hammer. Zwei Waffen, die zur Hinrichtung reichten.
Perry Cameron war ein Mann mit dunklen Haaren, durch die sich erste Silberfäden schoben. Er trug Jeans, eine normale Jacke und einen hellgrauen, dünnen Sommerpullover.
In seinem Gesicht fiel kaum etwas auf, abgesehen von den etwas zu großen Ohren. Und so hatte er den Spitznamen Hase bekommen, wobei der Begriff Raubtier eher gestimmt hätte.
Er blätterte. Die Scheibe an der Fahrerseite hatte er nach unten gekurbelt.
Die frische Luft des Abends drang in den Wagen und umschmeichelte ihn.
Er liebte diesen Geruch. Er mochte sein Land, denn diesen Duft gab es für ihn nur auf der grünen Insel, die er gegen alle Angriffe verteidigen wollte.
Doug Kinny! Dieser Name hatte ihn beschäftigt und beschäftigte ihn auch noch weiterhin. Aber er war in der letzten Zeit von einem anderen abgelöst worden. Und zwar vom Namen einer Frau, die ebenfalls Kinny hieß. Nur lautete ihr Vorname Greta, und sie war die Tochter des Hundesohns und Verräters.
Aber sie war auch der Weg, um endlich an Kinny heranzukommen. Es hatte Cameron viel Zeit gekostet, nur aber war es geschafft. Die nahe Zukunft lag wie eine glänzende Straße vor ihm. Er würde es schaffen. Er würde sich durchsetzen, daran gab es nichts zu rütteln.
Doug Kinny hatte seine Tochter gut versteckt, aber nicht gut genug, denn durch seine akribischen Nachforschungen hatte Perry herausgefunden, wohin er mußte.
Sie lebte einsam. In einem Haus am Wald. Zudem allein, und sie saß in einem Rollstuhl. Leichter ging es wirklich nicht. Er wollte trotzdem nicht am Tage erscheinen, denn da wurde Greta von einer Freundin betreut.
Einer jungen Frau aus dem Nachbarort. In der Nacht aber war die Gelähmte allein im Haus.
Sehr gut, dachte Cameron und grinste. Er verstaute sein Notizbuch im Handschuhfach und ließ seinen Plan noch einmal in kurzen Sätzen durch den Kopf gehen.
Hinfahren. Durch den Wald kommen. Sich heranschleichen und dann blitzschnell zupacken. Er würde aus dieser Frau herausquetschen, wo sich ihr Vater aufhielt. Wenn sie ihm alles gesagt hatte, dann wollte er sie auf die lange Reise schicken. Mit den Kinnys mußte einfach aufgeräumt werden, auch wenn nur der Vater, seiner Meinung nach, Dreck am Stecken hatte.
Verräter waren verhaßt. Und wen sie einmal zum Verräter abgestempelt hatten, für den gab es kein Zurück mehr. Auch die Motive des anderen wurden nicht anerkannt. In diesem blutigen Spiel mußte man sich entscheiden. Man konnte nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen.
Perry Cameron startete. Auf die Karte brauchte er nicht zu schauen. Er kannte seine Heimat. Bei seinen Einsätzen hatte er sie oft genug in alle Richtung durchfahren müssen.
Die Nacht gehörte ihm. Er kannte das. Einsamkeit. Finsternis. Eine wilde Landschaft. Gestirne, die hoch am Himmel standen, und ihr Licht funkeln ließen. Sie beschienen leere Straßen, die sich hinein in die Einsamkeit
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