Macabros 049: Die Qualligen aus der Mikrowelt
Sie war nervös und rauchte eine Zigarette nach der anderen.
Die aber rauchte sie nicht mal bis zum Ende, sondern drückte sie
schon nach der Hälfte wieder aus. Der Ascher war
überfüllt von stinkenden und qualmenden Kippen. In der rosa
und hellblau eingerichteten Wohnung der Pariser Chansonette Francoise
Value herrschte Unordnung. Das Bett war zerwühlt, Kissen lagen
auf dem Boden, zerfledderte Zeitschriften waren auf dem Sofa und den
verschiedenen Sesseln anzutreffen.
Francoise Value bemerkte diese Unordnung schon nicht mehr und
achtete nicht darauf. Vor einem halben Jahr hätte sie jede
herumliegende Zeitschrift, jedes schief an der Wand hängende
Bild, jedes zerdrückte Kissen auf dem Sofa gestört.
Heute machte ihr das nichts mehr aus.
Francoise Value, sechsundzwanzig Jahre alt, eine
dünkelhaarige, rassige Frau von graziler Gestalt und dem hellen,
beinahe durchscheinenden Teint, der ihrem Gesicht die
Zerbrechlichkeit chinesischen Porzellans verlieh, hatte sich
verändert.
Ihre Übererregbarkeit, ihre ständige Unruhe, ihre
Gefühlswallungen waren ihren engsten Freunden schon seit einiger
Zeit bekannt, nun bekamen es auch die zu spüren, die weniger oft
mit ihr zusammentrafen.
Unruhig ging Francoise in ihrem Apartment auf und ab.
»Wenn er nur endlich käme«, flüsterte sie im
Selbstgespräch. »Er weiß doch genau, daß ich
den Stoff brauche. Er weiß es doch…«
Sie nagte an ihren schön geschwungenen Lippen, daß die
Zahnabdrücke schließlich zu sehen waren.
Sie ging an das Fenster, weil es ihr plötzlich heiß
wurde. Mit zitternden Fingern öffnete sie es.
Die Dunkelheit lag wie ein schwerer Mantel über der Stadt.
Leichter Nebel wallte über die Dächer von Paris, und
schemenhaft verwaschene Lichthöfe schimmerten durch. Das waren
die Lichter der mit einem Mal so fern wirkenden
Straßenlaternen.
Francoise atmete unruhig und flach.
Die Atmosphäre über der Stadt an der Seine kam ihr
fremdartig und bedrückend vor.
Es lag etwas in der Luft. Etwas Unheilvolles, Lauerndes, etwas,
das ihr Angst machte…
»Ich brauch den Stoff«, murmelte sie. »Ich werd
sonst verrückt…«
Für einige Sekunden lang wurde ihr bewußt, daß
sie die Angst selbst erzeugte und auf ihre Umgebung projizierte. Sie
befand sich in einem Zustand höchster Erregung und kam sich wie
eingesperrt in ihren Körper vor.
Das waren die typischen Gefühle, die in der letzten Zeit in
immer kürzeren Abständen auftraten.
Rauschgiftsüchtig…
»Pierre… so beeil dich doch, mein Gott, komm doch
endlich!«
Sie raufte sich mit ihren zitternden Händen die Haare und
hatte das Gefühl, laut schreien zu müssen.
Aber die Angst war nicht nur innerlich.
In der Tat kam sie auch von außen, aus der Luft, aus dem
bleischweren Himmel über der Stadt. Viele Menschen klagten an
diesem Tag über Kopfschmerzen, über Schwindelgefühle,
Schwächeanfälle und Herzbeschwerden.
»Es liegt am Wetter«, sagten die meisten.
Ein warmes Tiefdruckgebiet lag über dem französischen
Festland.
Francoise versuchte tief und ruhig durchzuatmen. Ihr Herz pochte
unregelmäßig, ihr Puls war flach.
Ein Blitz spaltete den regenverhangenen, schwarzgrauen Himmel vor
ihr.
Wie ein plötzlich aufleuchtendes, glühendes Schwert
tauchte er vor ihr auf.
Mit einem Aufschrei warf Francoise sich herum, lief erschrocken in
das altrosé und hellblau eingerichtete Wohnzimmer zurück,
stolperte und fiel zu Boden.
Der Blitz erlosch. Es folgte kein Donner nach.
Die unheimliche Stille war irgendwie unnormal.
Schwer und massig hing der Himmel über den Dächern, war
wie eine quallige Wand, die sich unendlich langsam
näherzuschieben schien. Die Luft pulsierte.
Da – fiel die kleine Vase auf dem Tisch um, der schräg
neben dem Fenster stand.
Ein plötzlicher Luftzug, der von draußen kam, hatte sie
getroffen.
Francoise Value lag noch immer auf dem Boden. Sie meinte, eisige
Klauenhände würden nach ihrem Körper greifen, an dem
es wie in einem Ameisenhaufen kribbelte.
Der Blitz hatte einen kurzen heftigen Gewitterwind
ausgelöst.
Francoise Value kam auf ihre schlanken, wohlgeformten Beine zu
stehen, die unter dem hauchzarten schwarzen Negligé die Blicke
jedes Mannes auf sich gezogen hätten.
Unter dem Negligé war Francoise nackt.
Die Chansonette drückte beunruhigt das Fenster zu und stellte
die Vase wieder hin, die zum Glück nicht gesprungen war.
Francoise zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub.
Die junge, rauschgiftsüchtige Französin fühlte
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