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109 - Die Atemdiebin

109 - Die Atemdiebin

Titel: 109 - Die Atemdiebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Frenz
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Geschirrs in ihren Umhängetaschen zu verstauen, sahen sich Paoul und Janpieer weiter um. Die linke, knapp fünfzehn Schritte entfernte Wand, die ab Brusthöhe verglast war, erregte ihr Interesse. Dort gab es eine Tür, die in den dahinter liegenden Raum führte. Neugierig, was dort verborgen sein mochte, traten sie näher, doch ihr Jagdfieber erhielt einen Dämpfer, als sie statt weiteren Schätzen einen aufgebahrten Leichnam sahen.
    »Doch eine Gruft.« Janpieer kratzte sich nervös am Ohr und sah zu den Kameraden hinüber, die gerade munter die Grabbeilagen plünderten. Dann zuckte er mit den Schultern.
    »Was soll's. Der Toten nützen diese Sachen ohnehin nichts mehr.« Die bewusst abschätzige Meinung täuschte nicht über den sorgenvollen Unterton in seiner Stimme hinweg. Kein Wunder. Janpieer war genauso mit den alten Legenden aufgewachsen wie jeder andere in Liion.
    Abends, wenn man gemeinsam am Feuer saß, machten immer wieder Geschichten die Runde, über Häuser und Gräber aus alter Zeit, die den Tod brachten, sobald man fluchbeladene Gegenstände berührte. Das ließ sich nicht einfach abschütteln.
    »Solange wir die Grabkammer meiden, haben wir nichts zu befürchten«, behauptete Janpieer, bevor er den Blick von der Leiche abwandte und rasch zu den anderen zurückkehrte.
    Paoul rührte sich dagegen nicht von der Stelle. Seine Aufmerksamkeit galt weiter der Mumie, die sich, beide Arme seitlich an den Körper gepresst, auf einer grün gepolsterten Fläche ausstreckte. Ein weißes Laken, das den Altar feierlich bedecken sollte, löste sich bereits langsam in seine Bestandteile auf. Sonst wirkte die Grabkammer so, als ob sie erst gestern verlassen worden wäre. Selbst die runde, mit Gläsern verzierte Stahlschale, die wie eine Sonne über ihrem Kopf schwebte, glänzte noch in dem indirekten Licht.
    Fasziniert ließ er seinen Blick über den mumifizierten Leichnam wandern.
    Janpieer hatte Recht. Es handelte sich um eine Frau. Die Konturen, die sich unter den schillernden Stoffbahnen abzeichneten, ließen daran ebenso wenig Zweifel wie das blau gefärbte Haar, das das ungeschützte Gesicht einrahmte.
    Natürlich war ihr Fleisch im Laufe der Zeit eingefallen, doch wer auch immer sie bestattet hatte, musste den Körper einbalsamiert haben. Anders war der Grad der Erhaltung nicht zu erklären. Paoul erinnerte sich an die Leiche eines Ertrunkenen, die das Moor nach vielen Sommern wieder hergegeben hatte. Deren Fleisch war zwar auch überraschend gut erhalten gewesen, hatte aber braun durchtränkt ausgesehen.
    Die Frau hinter dem Glas wirkte dagegen nur erschlafft. Fast so, als würde sie nur schlafen. Lediglich die vermoderten Lederbänder, die ihre Arme und Beine einst an den Altar gefesselt hatten, störten den friedlichen Eindruck.
    Am meisten faszinierte Paoul jedoch der silberne Schmuck, der aus dem Tal ihrer Brüste hervor schimmerte. Auch auf die Entfernung konnte er sehen, dass es sich um eine fein gearbeitete Halskette mit zwei glänzenden Anhängern handelte.
    Polierte Plättchen, in die etwas eingraviert worden war. Wenn er diesen Schmuck Agnees schenkte, mit der er sich seit fünf Monden heimlich am Dorfweiher traf, willigte ihr Vater sicher in eine Heirat ein.
    »Paoul! Wo bleibst du denn?«, riss ihn Levree aus den Gedanken. »Hilf mit beim Einpacken!«
    Paoul nickte dem Jagdgefährten zu, ohne sich einen Schritt von der Stelle zu rühren. Geduldig wartete er, bis die Aufmerksamkeit seiner Kameraden wieder abflaute, dann suchte er den Türrahmen zur Grabkammer ab. Es dauerte nicht lange, bis er eine rechteckige Fläche fand, die der im Gang ähnelte. Nachdem er mit dem ganzen Handteller dagegen gedrückt hatte, glitt die Tür lautlos zur Seite.
    Paoul schlüpfte hinein und überbrückte die Distanz zu dem Altar mit schnellen Schritten. Sein Herz schlug plötzlich bis zum Hals. Er musste sich beeilen, damit die anderen nichts von der Kette erfuhren.
    Am Altar angelangt, sah er, dass die Mumie keineswegs in Stoffbahnen gewickelt war, sondern ein hauteng anliegendes, einteiliges Gewand trug, das von den Füßen bis zum Hals reichte und nicht die geringste Naht aufwies. Es sah beinahe so aus, als hätte man die Frau in einer zähen blauen Masse gebadet, dann am Schopf herausgezogen und einfach abtropfen lassen. Dafür sprachen auch die Schlieren und Schatten, die ein unregelmäßiges Muster auf den blauen Stoff zeichneten.
    Paoul kannte kein von Hand gewebtes Tuch, das vergleichbar gewesen wäre, aber

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