0733 - Ort des Schreckens
Wenn er auftrat, brauchte er sich keine Sorgen zu machen. Seine Vorstellungen waren immer ausverkauft.
Mister Mirakel hatte schon überall auf der Welt gastiert. Tourneen hatten ihm wahre Triumphe eingefahren. Er kannte die fünf Erdteile, und er war überall mit großem Beifall aufgenommen worden.
Es ging ihm gut, es war super, er ließ sich feiern, er brauchte den Applaus wie ein Süchtiger die Droge.
Jetzt war er wieder in London!
Ein Reporter hatte ihn mal nach seiner Nationalität gefragt, doch er hatte nur gelacht.
»Ich bin alles. Vor allen Dingen aber Bürger dieser wunderbaren und geheimnisvollen Welt.«
So hatte die Antwort gelautet, und sie war nicht einmal falsch gewesen.
Westlake ließ sich Zeit. Er stand hinter der Bühne und beobachtete sie durch einen Schlitz im Vorhang. Nicht weit entfernt hielt sich der Direktor des Theaters auf, ein Mann, der verzweifelt versuchte, hinter die Tricks des Illusionisten zu kommen, es aber nicht geschafft hatte. Auf entsprechende Fragen hatte ihm der Mann nur mit einem geheimnisvollen Lächeln geantwortet.
Auch jetzt sprach der Direktor ihn an, obwohl er wußte, daß es Mirakel nicht gern hatte. »Geht alles klar?«
Westlake nickte nur.
»Brauchen Sie noch etwas?«
»Nein.«
»Dann ziehe ich mich jetzt zurück.«
»Darum möchte ich Sie auch bitten.«
Der Direktor verschwand, ohne einen Kommentar abzugeben. Wieder einmal ärgerte er sich, daß man ihn hatte so abfahren lassen, und er nahm sich vor, heute besonders gut aufzupassen. Es mußte ihm einfach gelingen, herauszufinden, wie dieser Kerl das schaffte.
Die Bühne war nicht leer. Hugo Westlake hielt sich bewußt zurück, damit die Performance auf der Bühne ihren Eindruck nicht verfehlte. Er wollte sie auf die Zuschauer im Theater wirken lassen, sie sollten sich an das Bild gewöhnen, das sich im Zentrum des großen Lichtkegels befand.
Dort befand sich sein Medium!
Es war die berühmte schwebende Jungfrau, die er bereits hypnotisiert hatte und die nun in Brusthöhe eines ausgewachsenen Menschen über dem Bühnenboden lag.
Sie lag, und sie schwebte zugleich.
Ein Phänomen, das mit Staunen beobachtet worden war, das aber nur das Vorspiel zu gewaltigeren Dingen sein sollte, auf die Westlake sich vorbereitete.
Er hatte alles getan, was ein normaler Illusionist auch tat. Er hatte Susan Carter hingelegt, sie hypnotisiert, die Unterlage verschwinden und Susan schweben lassen.
Dann war er gegangen.
Natürlich mit wohlgesetzten Worten, denn er hatte den Zuschauern erklärt, daß er zunächst in sich gehen müsse, um Großes vollbringen zu können.
Für einen Moment lächelte er, als er an die gespannte Ruhe dachte, die alle Menschen erfaßt hatte.
Jeder wußte, daß bald etwas geschehen würde, viele hatten es schon gesehen, aber es blieb trotzdem ein unfaßbares Phänomen.
Hin und wieder hörte er ein Hüsteln, jemand schneuzte seine Nase, Flüstern, doch die Spannung lag fühlbar über den Zuschauern. Im Theater war die Luft nicht gut. Draußen herrschte feuchtwarmes Winterwetter, zahlreiche Zuschauer schwitzten. Der Geruch von Schweiß und Parfüm mischte sich zusammen. Er trieb als unsichtbarer Dunst über die Köpfe der Zuschauer hinweg.
Susan Carter war eine hübsche Person mit guter Figur. Er hatte sie aus einer der zahlreichen privaten Mannequinschulen wegengagiert, und sie hatte sofort zugestimmt, denn sie wollte unbedingt berühmt werden und ins Licht der Öffentlichkeit gelangen.
Jetzt lag sie im Licht der Scheinwerfer und wirkte dabei wie eine Tote.
Sie trug einen Einteiler, der ihren Körper sehr eng umspannte. Der hellblaue Stoff war mit zahlreichen Straßperlen besetzt. Sie funkelten im Licht und ließen die Gestalt aussehen, als wäre sie mit Sternenstaub begossen worden.
Sie hatte die Augen geschlossen. Ihr sowieso schon etwas puppenhaftes Gesicht ähnelte bei diesem Zustand dem einer Puppe noch stärker. Die Arme waren ausgestreckt, sie lagen eng am Körper.
Susan sah aus, als würde sie nicht atmen, tatsächlich war ihre Atmung auf ein Minimum reduziert worden.
Westlake schaute auf die Uhr.
Fünf Minuten hatte er Susan allein lassen wollen. Drei davon waren inzwischen vergangen.
Er wollte es nicht auf die Spitze treiben und die fünf Minuten nicht vergehen lassen. Bevor er wieder die Bühne betrat, schaute er sich um. Nicht weit entfernt standen die Bühnenarbeiter. Sie wußten nicht, ob sie lachen oder weinen sollten, als Westlake sie anschaute, denn dieser Mann war ihnen
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