1247 - Die Druiden-Maske
so«, sagte ich.
»Das glaube ich nicht. Hast du nicht gesehen, wie sich die Leute auf dem Bahnsteig stauten?«
»Vielleicht haben sie ja auch Angst vor dir.«
Suko musste lachen. »Wenn, dann vor dir, weil du…«
Er stoppte mitten im Satz, denn im Gang vor der Abteiltür war ein Schatten erschienen, der auch nicht weiterging, sondern stehen blieb und hineinschaute.
Es war die Frau vom Bahnsteig!
Ich hielt unwillkürlich den Atem an. Warum, wusste ich selbst nicht genau. Wieder dachte ich an das Schicksal, und ich war mir plötzlich sicher, dass sie nicht vorbeigehen würde, sondern sich ihren Platz gerade bei uns aussuchte.
»Wir werden Besuch bekommen, Suko.«
Ich hatte den Satz noch nicht ausgesprochen, als die Frau die Tür aufzog und auf der Schwelle stehen blieb. Sie hatte das Tuch noch nicht von ihrem Kopf entfernt. Wir sahen, wie auf dem Stoff die letzten Schneekörner schmolzen, und ihre roten Lippen zeigten ein Lächeln, als sie uns zunickte. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
»Selbstverständlich«, erklärte Suko.
»Danke sehr.«
Sie schob ihren Koffer zuerst herein. Suko erwies sich als Gentleman und schaffte ihn in die Gepäckablage. Die Frau bedankte sich mit einem Lächeln, bevor sie endlich das breite Tuch von ihrem Kopf entfernte, so dass wir ihr Gesicht und die Haare sahen.
Braune Haare umgaben das Gesicht mit der bleichen Haut wie eine Flut.
Es wirkte irgendwie steinern durch die Blässe der Haut. Eine Frau, die zur höheren Gesellschaft zählte, denn so waren die Ladys damals dargestellt worden. Leicht, ätherisch, ein wenig unnahbar, aber oft mit einem brodelnden Vulkan im Innern.
Das Tuch verschwand ebenfalls im Gepäcknetz, dann zog sie ihren Mantel aus, und plötzlich war sie nicht mehr so schwarz, denn der beigefarbene Pullover, weit geschnitten und aus wärmender Kaschmirwolle, reichte ihr bis zu den Hüften.
Die Beine steckten in einer langen Hose aus einem dicken Winterstoff.
Ich konnte meinen Blick einfach nicht von ihr wenden und beobachtete sie heimlich.
Die Frau allerdings bewegte sich sehr ungezwungen, ordnete ihr Haar und benahm sich fast so, als wäre sie allein im Abteil.
Auf Sukos Seite und mir gegenüber nahm sie Platz. Allerdings blieb zwischen ihr und Suko noch ein Sitz frei.
»Das haben wir ja gerade noch geschafft«, sagte sie. »Ich dachte schon, dass nichts mehr gehen würde.«
»Müssen Sie auch nach Toulouse?«, fragte ich.
»Ja, dort ist mein Ziel.«
Ich sagte nichts, was sie nicht akzeptierte. »Jetzt denken Sie bestimmt an die Särge, nicht wahr?«
»Nein, nicht direkt, aber ungewöhnlich ist es schon, meine ich. Oder denken Sie da anders?«
»Nein, es ist ungewöhnlich. Aber was sollte ich machen?« Sie schaute mich an, und ich stellte fest, dass ihre Augen ebenfalls braun waren. »Bitte, der Leichenwagen blieb im Schnee stecken. Sie können sich nicht vorstellen, wie froh ich war, dass ich die Chance erhielt, die Särge in den Gepäckwagen laden zu können. Ich bin den Menschen hier wirklich sehr dankbar, die mir geholfen haben.«
Inzwischen hatten wir den Bahnhof bereits verlassen. Noch fuhren wir durch den Ort, der durch den vielen Schnee ein weißes Leichentuch erhalten hatte. Sogar an den Türmen der beiden Kirchen klebte die Pracht, und es würde sicherlich lange dauern, bis das Zeug getaut war. Dabei ist Südfrankreich eigentlich keine Gegend, in der viel Schnee fällt, doch Ausnahmen gibt es immer wieder und in den letzten Tagen des ausgehenden Jahres war es so.
Der Sturm der Flocken wollte einfach nicht abreißen und die lange Zugschlange fuhr in den Wirbel wie in einen nicht enden wollenden Tunnel. Weitere Fahrgäste stiegen nicht in das Abteil, und so konnten wir uns darauf einrichten, zunächst zu dritt zu bleiben.
Vor Toulouse würde der Zug noch drei Mal halten. So zumindest sah es der Fahrplan vor.
Suko hielt das Gespräch in Gang und fragte: »Sind es Verwandte von Ihnen, die in den Särgen liegen?«
»Ja, meine Eltern.«
»Oh, das tut mir Leid.«
Sie hob die Schultern. »Beide sind plötzlich gestorben. Zuerst meine Mutter, danach mein Vater, nur wenige Stunden später. Sein Herz hat den Schock nicht verkraftet. Da muss man als Tochter eben durch. Mehr kann ich nicht für sie tun.«
»Warum überführen Sie die beiden nach Toulouse?«, erkundigte sich Suko.
»Wir werden nicht bis Toulouse fahren, leider. Das habe ich vorhin gehört.«
Plötzlich horchte auch ich auf. »Nicht bis Toulouse? Das ist das Erste, was
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