158 - Orguudoos Brut
letzten Wochen taten ein Übriges. Das Rieseninsekt hatte keine Lust mehr auf weitere Strapazen. Entsprechend reagierte es jetzt.
Ruckartig flog der kantige Schädel hoch, und die Zügel hingen durch. Aruula beging den Fehler, nachzufassen. Sie stöhnte, als das raue Leder durch ihre Hände gerissen wurde, weil die Androne wie ein bockiges Pferd den Kopf herunter warf.
Die heranpeitschenden Schneekristalle setzten dem Tier noch stärker zu als seiner Reiterin. Beinahe verzweifelt wischte es über seine riesigen, ungeschützten Insektenaugen und versuchte sich im Flug aus dem Wind zu drehen. Doch der wechselte schnell und ständig, und so dauerte es nicht lange, bis das gestresste Geschöpf in Panik geriet. Erregt surrte es herum, und Aruula brach der Schweiß aus, trotz des Blizzards.
Sie wusste, dass ein Sturz aus dieser Höhe den Tod bedeuten würde, selbst wenn sie »nur« Knochenbrüche davontragen sollte. In der menschenleeren Wintersteppe würde ihr niemand zu Hilfe kommen.
Die Barbarin hob sich aus den Steigbügeln und langte weit nach vorn. Man brauchte großen Mut für dieses Manöver, zumal bei einem so unberechenbaren Tier, doch er zahlte sich aus. Aruula bekam einen der Fühler zu fassen und zerrte den Insektenkopf herum. Es war grausam, aber darauf konnte Aruula keine Rücksicht nehmen.
»Runter!«, schrie sie, den verdrehten Fühler fest im Griff.
»Nun mach schon!«
Es schien zu gelingen. Die Androne versuchte ihrem Schmerz zu entkommen, indem sie Aruulas Hand folgte, und flog damit automatisch abwärts.
Plötzlich stockte das Heulen und Pfeifen des Sturmes, als wollte er Luft holen vor dem nächsten Angriff. Millionen Flocken sanken kraftlos herab – und gaben den Blick auf ein Hindernis frei!
Aruula erstarrte. Der Anblick des gewaltigen Kopfes, der nur wenige Meter vor ihr aufragte, war erschreckend. Eine unbekannte Gottheit vielleicht, die den Sturm gesandt hatte, weil sie sich gestört fühlte? Nein, das Antlitz war aus grauem Stein. Eine Statue!
Der Schock hatte sie für eine Sekunde gelähmt – eine Sekunde zu lange! Schon war das Hindernis heran, und der kräftige Ruck, mit dem Aruula die Androne zum Ausweichen zwang, kam zu spät. Mit dem linken Flügelpaar streifte das Tier die steinerne Figur!
Die Androne wirbelte herum wie Herbstlaub im Sturm. Um nicht den Halt zu verlieren, verstärkte Aruula noch einmal ihren Griff und brüllte den oft geübten Landebefehl heraus:
»Nai! Tu faa nai!«
Es knackte, und der Fühler brach ab.
Aruula kippte mit einem Aufschrei nach hinten, die Androne hob sich steil in die Höhe.
Es war nur ein Augenblick; ein Sturz durch die Luft, durch die Kälte und durch wirbelndes Weiß. Dann schlug Aruula am Boden auf. Alles wurde still, als die Kriegerin vom Volk der Dreizehn Inseln in lichtlose Tiefen sank…
***
Krachend flog die Tür gegen die Wand. Wind heulte herein, entriss dem Herdfeuer ein Funkenmeer und brachte die Jäger zum Fluchen. Mit dem Wind und der eisigen Luft kam auch eine Ladung Schnee in die Hütte. Ihr folgte ein Mann, dick vermummt und düster dreinblickend.
Chengai hatte ein totes Nukko geschultert. Zwei Frauen eilten heran, als er das Tier an den Hörnern herunter zog. Er reichte es weiter, dann stemmte er sich gegen die Tür und drückte sie zu.
»Der Sturm ist gleich vorbei«, sagte Chengai zuversichtlich, klopfte den Schnee von seiner Hose und zog die schwere, mit Fell verbrämte Jacke aus. Blut klebte daran. Er warf sie achtlos beiseite.
Chengai war ein Saikhan, wie die Steppenjäger genannt wurden. Er galt unter Seinesgleichen als schöner Mann, und er wusste um seine Wirkung auf die anwesenden Frauen. Wie immer spürte er ihre Blicke, als er das lederne Hemd glatt zog und sich dann mit beiden Händen lässig übers Haar strich. Es war im Nacken zum traditionellen schwarzen Zopf geflochten, und es glänzte von der täglichen Pflege mit Yakk-Fett. Der Fünfundzwanzigjährige sah sich um, wobei er die Frauen aussparte. Ebenfalls wie immer.
Die Hütte bestand aus Stein; mit gemauertem Herd, Fensterhöhlen und Spitzdach. Sie war Teil der Ruinen eines uralten Dorfes namens Lagtai. Vor dem Kometeneinschlag war dieser Ort ein festes Etappenziel ausländischer Touristen gewesen. Ganz in der Nähe stand eine der größten Buddha-Statuen der damals noch existierenden Mongolei, und man konnte im Dorfschrein – hinter Glas und gegen Geld – ein besonderes Relikt bestaunen: eine Locke von Dschingis Khan!
Ob die borstigen Haare
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