1657 - Der weibliche Golem
stamme aus Tschechien und bin in Prag aufgewachsen. Dann hat es mich in diese Gegend verschlagen. Ich wollte meiner Begabung nachkommen, habe einige Werke erschaffen, von denen ich sogar hin und wieder eines verkaufen konnte. Die Leute hier haben mehr Geld als in meiner Heimat. Vor allen Dingen die Touristen. Ich kann sagen, dass ich zufrieden bin.«
»Das ist ja nett. So etwas hört man heutzutage viel zu selten. Die meisten Menschen sind es nicht.«
»Ja, ich weiß. Das höre ich hin und wieder auch. Oder lese es in den Zeitungen.« Er deutete auf seine Tasse. »Ich denke, dass wir uns den Schluck verdient haben.«
»Das meine ich auch.«
Greta umfasste ihre Tasse mit beiden Händen und hob sie an. Dabei schielte sie über den Rand auf Pavel Hawelka, der das Gleiche tat.
Greta ließ ihn zuerst trinken, dann nahm sie einen Schluck. Es war kein Vergleich zu dem Bärwurz. Der Tee schmeckte nicht scharf. Er kratzte auch nicht im Hals. Allerdings nahm sie ihn als etwas bitter wahr oder auch als fremd. Sie schluckte ihn langsam, weil er recht heiß war, aber sie musste auch zugeben, dass er auf eine bestimmte Weise gut tat und sie von innen wärmte, trotz des Nachgeschmacks. Aber das musste wohl an den Kräutern liegen.
»Und? Bist du jetzt zufrieden?«
»Er schmeckte mir besser als der Bärwurz.«
»Das dachte ich mir.«
»Aber er ist gewöhnungsbedürftig.«
Pavel fing an zu lachen. »Stimmt, das ist er. Auch bei ihm muss man einen zweiten Schluck nehmen. Das ist wie bei dem fränkischen Rauchbier. Du trinkst dein erstes Glas, wunderst dich, aber nach dem dritten bist du zufrieden.«
Auch Greta kannte das Getränk. Sie wollte darüber reden, aber die Worte blieben ihr im Hals stecken, denn plötzlich erlebte sie einen Schweißausbruch, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Eine wilde und heiße Lohe schoss durch ihren Körper, erreichte auch das Gesicht und sorgte auf den Haut für den Schweißfilm. Das war nicht normal. Nein, das konnte nicht sein. Nicht nach einem Schluck Tee. Vorausgesetzt, der war okay. Sie dachte an den Geschmack und die Bitterstoffe, aber Pavel hatte ihn ebenfalls getrunken, und er sah völlig normal aus. Jetzt lächelte er und fragte völlig harmlos: »Was ist denn los mit dir, Greta?«
Sie wollte antworten und tat es schließlich mit leiser Stimme, wobei sie sich noch anstrengen musste.
»Ich weiß es nicht. Mir ist plötzlich so heiß, als würde in meinem Innern ein Feuer brennen. Hat das am Tee gelegen?«
»Ja.«
Greta musste erst warten, bis sie eine weitere Frage stellen konnte. »Warum und wieso…?«
»Ich habe den Tee in deiner Tasse vergiftet.«
»Und warum?«, keuchte sie.
»Weil du sterben sollst…«
***
Es ging Greta nicht so schlecht, als dass sie die Antwort nicht verstanden hätte. Der Mann vor ihr musste den Satz nicht wiederholen. Sie glaubte ihm auch so, und durch ihren Kopf schoss nur ein Begriff.
Vergiftet!
Beide Hände drückte sie rechts und links des Körpers gegen die Sitzfläche. Sie wollte aufstehen, das Haus verlassen, hinein in die Kälte laufen, in der es ihr möglicherweise besser ging.
Es blieb beim Versuch. Greta schaffte es nicht. Ihr Körper schien mit Blei gefüllt und doppelt so schwer geworden zu sein. Man hatte ihr die Kraft geraubt. Das Gehirn gab zwar noch seine Befehle, aber der Körper reagierte nicht mehr. Eines jedoch war ihr klar geworden. Sie war an der richtigen Stelle gewesen. Hier hätte sie den Fall aufklären können, aber letztendlich war Hawelka schneller gewesen. Er hatte sie durchschaut, und auch jetzt ließ er sie nicht aus den Augen, wobei sich sein Mund zu einem Grinsen verzogen hatte.
Greta nahm den Blick nicht von ihm. Er saß auf der Couch und war dabei, sich zu verändern. Sein Gesicht zog sich in die Breite, der Körper schien sich dabei in eine Gummimasse verwandelt zu haben, die sich mal nach links, dann wieder nach rechts bewegte.
So sah der Mann nicht wirklich aus. Mir wird etwas vorgegaukelt!, dachte sie und hörte sich selbst ächzen. Sie bewegte ihre Arme nach vorn, was kaum zu schaffen war. Greta gab trotzdem nicht auf. Sie wollte die Kante des Tischs erreichen, um sich dort vielleicht auf die Beine ziehen zu können, aber das war nicht mehr möglich. Auch der Tisch bewegte sich. Er schwang mal von ihr weg, dann schwappte er wieder näher heran, aber er war keine Hilfe mehr für sie. Sie fasste daneben, kippte nach vorn und konnte sich nur unter großen Mühen wieder hinsetzen.
Pavel Hawelka
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