1958 - Der Oxtorner und sein Okrill
es ist so wichtig oder ereignet sich so intensiv, dass Tarlan es erkennt und verarbeitet. Es muss irgendwo in der Nähe sein. An Bord der MERLIN." Je länger sich Denor darüber Gedanken machte, desto stärker wuchs in ihm die Überzeugung, dass es tatsächlich so war. Die Ereignisse um den Sonnentresor spitzten sich unaufhörlich zu. In Kürze würden sie einen Kulminationspunkt erreichen. Als Denor in die Kabine zurückkehrte, lag der Okrill an der Tür. Das große Tier machte unmissverständlich klar, dass es hinauswollte. „Du wartest", sagte Denor. Der Tonfall in seiner Stimme ließ keinen Widerspruch zu. „Was wäre der Tag ohne ein schmackhaftes Frühstück?"
Einst hatten Angehörige eines fremden, inzwischen längst ausgestorbenen Volkes die Okrills als Wächter nach Oxtorne gebracht. Die Tiere passten sich den extremen Umweltbedingungen an und vermehrten sich. Nach dem Tod ihrer Herren dienten sie den am 11. Januar 2234 alter Zeitrechnung mit der ILLEMA auf Oxtorne notgelandeten Menschen und deren Nachkommen als Helfer und Beschützer. Dabei bewahrten sie ihre Eigenständigkeit. Deshalb gelang es im Lauf der Jahrtausende nur ganz selten, einen Okrill wirklich zu zähmen. Okrills glichen einem ins Gigantische verzerrten terranischen Frosch. Sie besaßen acht Beine, von denen das hinterste Paar am kräftigsten ausgebildet war und zu weiten Sprüngen befähigte. Unter normalen Schwerkraftverhältnissen schafften die Tiere bis zu zwanzig Meter. Die beiden mittleren Beinpaare waren außerordentlich kurz und verfügten über organische Saugnäpfe, mit denen sich ein Okrill an glatten und steilen Wänden festhalten konnte. Das vorderste Beinpaar war wiederum lang und mit tellergroßen Krallentatzen bewehrt.
Die durchschnittliche Länge eines Okrills betrug einen Meter und zehn, seine Höhe fünfzig Zentimeter. Skelett und Muskeln wiesen die Härte von Stahlplast auf. Die Farbe der facettenartigen Augen konnte von Blau bis Schwarz wechseln, je nach Gemütszustand. Das sehr breite Maul besaß zwei Reihen harter und scharfer Reißzähne sowie eine grellrote Zunge. Diese konnte bis zu acht Meter weit davon schnellen und elektrische Schläge austeilen. Je nach willentlicher Regulierung durch das Tier vermochte sie Lebewesen zu töten und Terkonitstahl zum Schmelzen zu bringen.
Wissenschaftler verglichen die Verhaltensweisen der Okrills oftmals mit der von terranischen Delphinen. Sie wiesen darüber hinaus eine Reihe weiterer erstaunlicher Fähigkeiten auf. Okrills waren in der Lage, Infrarotspuren von Ereignissen wahrzunehmen, die Wochen und Monate zurücklagen.
Darüber hinaus schienen sie während ihres Zusammenlebens mit den angepassten Menschen des Planeten eine Reihe weiterer Fähigkeiten im empathischen Bereich zu entwickeln. Aus der Erfahrung der gemeinsamen Jahre heraus traute Denor Massall Tarlan in dieser Beziehung einiges zu. Der Okrill hatte es sehr eilig, aus der Kabine in den Korridor zu kommen.
Er wandte sich schnurstracks nach rechts. Dort lag „die Wildnis", wie es an Bord hieß. Einen Augenblick lang schien es, als wolle sich der Okrill links von seinem Herrn halten, Dann korrigierte er den Fehler und kam auf die rechte Seite. Die Beobachtung verunsicherte Denor noch mehr. Der Seitenwechsel drückte Unzufriedenheit aus. Wenn ein Okrill plötzlich links von seinem Menschen ging, bedeutete es im schlimmsten Fall, dass das Tier seinen Herrn nicht mehr akzeptierte und sich von ihm trennen würde.
Der Sprung über den Okrill gehörte dabei zu den wichtigsten Verhaltensweisen im Umgang mit dem Tier. Akzeptierte es den Sprung, war alles nur halb so schlimm. Wechselte es sofort wieder nach links, musste sich der Besitzer mit der bevorstehenden Trennung abfinden. Eine Möglichkeit, das Tier zum Bleiben zu überreden, existierte dann nicht mehr. .Der Oxtorner und sein Okrill suchten „die Wildnis" auf. Es handelte sich um ein speziell für das Tier eingerichtetes Areal am hinteren Ende der Kabinensektion. Allerdings durften sich auch Ertruser, Epsaler und andere Umweltangepasste dort betätigen, wenn sie sich rechtzeitig anmeldeten. Die Halle war zehn Meter hoch und maß sechzig mal achtzig Meter. Für einen Okrill stellte es keinen besonders ergiebigen Auslauf dar. Man konnte es eher als „Gefängnis" bezeichnen. Tarlan hatte jedoch bisher keinerlei Missfallen gezeigt.
Denor Massall machte sich auf die Suche nach der Losung. Auch daran ließ sich bei Okrills einiges ablesen. Tarlans Lieblingsplätze
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