2008 - komplett
Mountgrave Castle Männer, die genauso dachten. Männer, die Öl ins Feuer gießen wollten.
Die Zeremonie zu stören, entsprach nur einem Spritzer Öl, eine Entführung einem Becher voll. Aber einer Frau Gewalt anzutun ... der einzigen Tochter von Lord Henry Gewalt anzutun ... das war so, als würde man ein ganzes Fass Öl in die Flammen schütten, das eine Feuersbrunst entfachte, die nur mit dem Blut einer ganzen Familie gelöscht werden konnte.
Und wenn es nicht die Tochter war, sondern ihre Cousine Joan, dann entsprach das immerhin noch einem Kelch voll Öl, der für eine ausreichend wütende Flamme genügte.
Joan schickte ein Stoßgebet an die Jungfrau Maria, die Beschützerin aller Jungfrauen, und versuchte verzweifelt, einen Ausweg aus ihrer misslichen Lage zu finden.
Gegenwehr? Nein, das war lächerlich.
Vom Pferd springen und davonlaufen? Er würde sie nach wenigen Augenblicken eingeholt haben.
Sollte sie ihn vom Pferd stoßen und davonreiten? Ein für Gefechte ausgebildetes Pferd würde sich von ihr keine Befehle geben lassen, und Joan hätte ebenso versuchen können, die Hügel zu beiden Seiten des Flusses aus dem Weg zu schieben, wenn sie glaubte, sie könnte diesen Mann vom Pferd werfen!
Vor Hilflosigkeit und Panik begann sie am ganzen Leib zu zittern.
„Ist Euch kalt?“, fragte er. „Wir werden bald eine Zuflucht erreicht haben.“
„Wo? Was? Wohin bringt Ihr mich?“ Ihre Stimme wurde so schrill, dass er fluchend abermals seine Hand auf ihren Mund legte.
„Zu einer Höhle“, erklärte er und klang gereizt. „Sie ist so ausgestattet, dass sich eine Dame dort wohlfühlt. Und nun seid ruhig, bis wir dort angekommen sind.“
Da seine Hand nach wie vor auf ihrem Mund lag, blieb ihr ohnehin keine andere Wahl. Dennoch ließ ihre Angst zumindest ein wenig nach. Während sie sich nach hinten gegen den Reiter lehnte und das Pferd einem Pfad aus dem Fluss folgte, auf dem vermutlich sonst Schafe durch den Wald getrieben wurden, musste sie über den gereizten Tonfall des Mannes nachdenken. Würde ein Mann, der darauf aus war, einer Frau Gewalt anzutun oder sie gar zu ermorden, so reden wie er?
Wie sollte sie das beurteilen können? Sie hatte zwar etliche Brüder und kannte sich recht gut mit den Denk- und Verhaltensweisen von Männern aus, doch sie wusste nichts darüber, wie sie reagierten, wenn es um einen Krieg oder eine Blutfehde ging.
Der Gedanke an ihre Brüder und damit an ihre Familie ließ ihr Tränen in die Augen steigen.
Wieder war sie in Schwierigkeiten geraten. Das jedenfalls würden sie zu ihr sagen, sollte sie dieses Grauen hier überleben. Ihre Brüder würden sich umgehend auf den Weg machen, um den Mann zu töten, der Schande über sie gebracht hatte, doch davon hätte sie letztlich auch nichts mehr. Jeder würde sagen, es sei ihre eigene Schuld, und wie üblich hätten die anderen damit recht. Als Joan in Pelze gehüllt in Woldingham angekommen war, da hoffte sie auf neue Abenteuer. Sie musste jedoch feststellen, dass ihre Cousine Nicolette eine schwächliche, weinerliche Person war.
Offenbar war das auch der Grund, weshalb man sie auf die Burg geholt hatte – um ihr Gesellschaft zu leisten und dafür zu sorgen, dass sich ihre Laune besserte. Von ihrer Tante Ellen erfuhr sie, Nicolette sei liebeskrank und müsse bewacht werden, damit sie nicht mit dem betreffenden Mann durchbrannte. Auf keinen Fall durfte sie in ihrer Laune bestärkt werden.
„Deine Eltern berichten, du seist eine vernünftige junge Frau, Joan, die nicht zu Dummheiten neigt.“
Joan fühlte sich in dem Moment, als sie diese Worte zu hören bekam, nicht besonders vernünftig, da sie beim Anblick von Woldingham überwältigt und sprachlos war – von der Größe des Anwesens und der Anzahl der Bediensteten ebenso wie von den glitzernden Kostbarkeiten, die es zu sehen gab, wohin sie auch schaute. Zwar murmelte sie eine zustimmende Bemerkung – schließlich hatte sie ihrer Mutter versprochen, sich gut zu benehmen –, dennoch wagte sie es, eine Frage zu stellen: „Wen liebt Cousine Nicolette, Tante?“
„Das ist nicht wichtig. Er ist völlig unpassend für sie. Wirklich völlig unpassend.“
Joan konnte sich nicht vorstellen, wie Nicolette so dumm sein konnte zu glauben, sie sei in einen besitzlosen Ritter oder einen Troubadour verliebt, und sie war mehr als glücklich darüber, ihr dabei zu helfen, diesen Irrglauben zu überwinden. Sie selbst war fest davon überzeugt, dass sich die Liebe auf ein
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