223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
durch einen gefälligeren Dekor zu ersetzen, ohne dass dies wirklich gelungen wäre. Jedenfalls hat die pittoreske Ansicht mit dem steil aufragenden Schlossberg am Donauufer einst ganze Heerscharen von Malern und Zeichnern angelockt, aber diese friedlich-romantischen Zeiten sind längst vorbei.
Das SS-Umsiedlerlager, 6, 7 fest gefügte, gut ausgestattete Holzbaracken mit gemauerten Fundamenten, mit stabilen Dächern und blechernen Rauchfängen, mit Kanonenöfen und solidem Holzmobiliar ist fast so etwas wie exterritorial, das weiß auch Revierinspektor Winkler. Die Belegung ändert sich fast täglich, viele, deren Dörfer und Weiler in Ungarn, in der Tschechei, in Rumänien, Jugoslawien längst von der Roten Armee überrannt worden sind, ziehen weiter, auf die Amerikaner zu, ohne noch irgendwen um Erlaubnis zu bitten. Die hohen Reichsbehörden, die mit ihnen als Kolonisatoren einst eine neue Zivilisation, eine neue deutsche Welt begründen wollten, kümmern sich keinen Deut mehr um diese Leute. Es sind auch vor allem Alte, Frauen und Kinder, denn viele der dazugehörigen Männer, von denen nicht alle akzentfrei Deutsch sprechen, kämpfen in den Uniformen von Wehrmacht und Waffen-SS. Andere jedoch nützen die noch bestehenden Zweifel an ihrer Herkunft und den Umstand, dass man ihnen die Staatsbürgerschaft des Reiches noch nicht zuerkannt hat, um sich von der Front fernzuhalten. Dazwischen tummeln sich im Lager gelegentlich SD-Beamte, Gestapo-Leute und Parteibedienstete, die stiften gegangen sind, nachdem ihre Dienststellen in und um Wien von sowjetischer Artillerie in Klump geschossen worden waren. Das weiß man im Ort, obwohl das Lager von Persenbeug aus wegen des steil aufragenden Schlossbergs nicht eingesehen werden kann. Aber die Goldfasane melden sich meist regulär im Rathaus und auf dem Gendarmerieposten, um an die Lebensmittelmarken zu kommen, obwohl viele von ihnen neben Raubgold und Diamanten auch noch durchaus beachtliche Vorräte an Lebensmitteln mit sich führen. In der Regel sind sie aber nach 3, 4 Tagen perdu, hasten weiter Richtung Westen, den Amis entgegen. Die meisten dieser Figuren sind erprobte Meister im Stiftengehen und können den russischen Pulverdampf über 40, 50 Kilometer hinweg riechen. So tauchte vor einigen Tagen auch Karl Fricke im Lager auf, ein feister Mann unbestimmbaren Alters in der abgetragenen Uniform eines SS-Oberscharführers. In seinem Gürtel steckte ein schwerer russischer Trommelrevolver. In diesem Aufzug meldete er sich zuerst im Rathaus bei Oberbürgermeister Maier und dann am Gendarmerieposten bei Kommandant Duchkowitsch und gerierte sich bei beiden als neuer Lagerführer. Der Postenkommandant, das fällt Winkler jetzt ein, hat den Fricke auch zwei-, dreimal im Lager aufgesucht und schien überhaupt sehr angetan von dieser Figur, die so martialisch auftrat, aber den Weg an die Front partout nicht finden konnte.
Es sei sonnenklar, zischt SS-Lagerführer Fricke zwischen den Zähnen hervor und klopft zur Bekräftigung auf den Revolverknauf vor seinem Bauch, dass wir deutschen Arier keinen Quadratmeter Baracke und keinen einzigen Strohsack, von Bettwäsche und den Küchenecken ganz zu schweigen, mit diesem Ungeziefer teilen werden. Sein deutscher Akzent klingt dabei so scharf, dass Soukop zusammenzuckt. »Piefke«, murmelt er halblaut.
Auf den beiden schweren Steyr-Waffenrädern und mit den Karabinern auf dem Rücken sind Revierinspektor Winkler und Korporal Soukop mit Karacho auf dem kleinen, vermatschten Platz vor den Baracken vorgefahren, wo eine Leine voll frisch gewaschener Leibwäsche ihre Fahrt abgebremst hat. Korporal Landler ist ihnen im Abstand von zirka 20 Metern im Trab gefolgt, da der Posten Persenbeug über keinen Dienstwagen und auch nur über 2 Dienstfahrräder verfügt. Nun steht er keuchend und schwitzend ebenfalls auf dem Barackenvorplatz. Binnen einer Minute sind praktisch alle Lagerinsassen, die sowieso unter Langeweile leiden, um die Gendarmerie-Abordnung versammelt. SS-Lagerführer Fricke kommt als Letzter aus der größten Baracke, im Schlepptau hat er einen Führer der
Organisation Todt
namens Eduard Waldhauer, seinen Adlatus.
Der Revierinspektor weiß auch über diesen Goldfasan Bescheid. Jeden Abend lässt er sich routinemäßig die neuen Meldescheine vorlegen.
»Aber hier stehen doch eh die halben Baracken leer«, wendet Franz Winkler ein und denkt: Und wenn die Russen noch ein Stück näher rücken, bist du garantiert der Erste, der von hier
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