223 oder das Faustpfand - ein Kriminalfall
Leitung der Ortsgruppe der Partei an Viktor Urban abgeben, der nun auch den Volkssturm führt und damit ein mächtiger Mann im Ort ist, auch wenn die Russen schon vor Melk und die Amerikaner vor Grein stehen. Oberbürgermeister Maier weiß, dass es jetzt darauf ankommt, Haltung zu zeigen, den Gerüchten durch eine eindeutige Haltung entgegenzutreten. Laut und bestimmt lehnt er am Telefon jedwede Unterstützung der Gemeinde für ein künftiges Judenauffanglager ab, es werde keine Lebensmittel und keine Lebensmittelkarten, kein Stroh und keine Decken geben. Besonders erbost den Oberbürgermeister, dass das Ansuchen der Gendarmerie am Telefon nicht einmal vom Postenkommandanten persönlich vorgetragen wird, sondern von dessen Adlatus Winkler. Ein Affront, gerade in einer solch wichtigen Angelegenheit. Dieser Revierinspektor Winkler ist zwar Mitglied der Partei, aber ein laues, wie Maier zu wissen glaubt. Dieser Auswärtige ist ein Parteigenosse, der entweder keinerlei Interesse an den Aufgaben der Zeit, an den Bemühungen um den Endsieg zeigt oder sogar mehr oder minder offen Desinteresse zur Schau stellt, eines jener zahlreichen Schafe im Wolfspelz, die wohl nur der Bewegung beigetreten sind, um ihre berufliche Stellung zu sichern oder auszubauen. Und mit diesen Leuten, denkt Maier bitter, sollen wir das Ruder noch einmal herumreißen und den Endsieg für Großdeutschland herbeiführen. Außerdem empfindet es der Oberbürgermeister als Frechheit, dass dem Revierinspektor die paar Schritte quer über den Marktplatz vom Gendarmerieposten zum Rathaus offenbar zu viel sind und er es vorzieht, sein Anliegen am Diensttelefon vorzutragen. Der Kerl, ist sich Maier sicher, kann mir nicht ins Gesicht schauen, nicht in die Augen sehen, wenn er um Privilegien für seine Schutzjuden bettelt.
Der Revierinspektor tut am Telefon, als würde er die üble Laune des Oberbürgermeisters nicht mitbekommen, und redet einfach weiter. Am Ende, Maier glaubt seinen Ohren nicht zu trauen, verlangt er die Zurverfügungstellung von 3 Baracken des Lagers für volksdeutsche Umsiedler, des SS-Umsiedlerlagers, von der Gemeinde. Jetzt ist dieser Winkler völlig meschugge geworden, denkt Maier und ist im ersten Augenblick völlig sprachlos. Dann aber legt er richtig los.
»Verdammt noch einmal, Sie haben mich nicht richtig verstanden!«, tobt er. »Es wird überhaupt kein Judenlager in Persenbeug geben! Soll ich es Ihnen buchstabieren? KEIN JUDENLAGER!«
»Befehl ist Befehl«, antwortet Revierinspektor Winkler ruhig und fügt noch hinzu: »Die hieramtliche Dienststelle wird sich an das Landratsamt Melk wenden.« Und das, wird dem Oberbürgermeister mit einem Schlag klar, kann man durchaus auch als Drohung auffassen.
Im Jänner 1945 wird der 52-jährige, aus Baumgarten im Bezirk Krems gebürtige Revierinspektor Franz Winkler, höchstwahrscheinlich vom Gendarmerieposten Mautern am östlichen Ende der Wachau, nach Persenbeug im Strudengau versetzt, um dort als stellvertretender Postenkommandant Dienst zu tun. Damit evakuiert die NS-Verwaltung einen erfahrenen, höheren Exekutivbeamten aus einem Ort, dessen baldige Eroberung durch die Rote Armee absehbar ist, nach Westen, um sich seine Dienste über den Endsieg hinaus zu sichern, der zumindest offiziell noch immer erwartet wird, obwohl die militärische Lage nicht nur im so genannten Gau Niederdonau für Großdeutschland längst hoffnungslos ist. Winkler sieht ein, dass er keine Wahl hat. Er lässt seine Gattin und die Tochter in seinem Haus in Oberbergern Nr. 34, einer kleinen Ortschaft am Nordrand des Dunkelsteinerwaldes, nur wenige Kilometer südlich von Krems und Mautern gelegen, zurück und setzt sich selbst Richtung Persenbeug in Marsch, wo er ein kahles, schäbiges Zimmer im Gasthaus
Zum Goldenen Ochsen
am östlichen Ortsrand bezieht und sich am Gendarmerieposten am Rathausplatz zum Dienst meldet. Er wird an seinem neuen Dienstort, der bisher – sieht man von einem wohl versehentlichen Angriff amerikanischer Tiefflieger auf das Magazin und den Stall des Kaufhauses Christl mitten im Ort einmal ab – von gröberen Kriegseinwirkungen im Wesentlichen verschont geblieben ist, nicht gerade mit Palmwedeln empfangen. Sein Vorgänger als stellvertretender Postenkommandant ist Gerüchten zufolge, ohne dass Winkler Näheres in Erfahrung bringen kann, als Angehöriger einer Einsatzgruppe irgendwo im Osten gefallen. Sein Postenkommandant, der Gendarmeriemeister Engelbert Duchkowitsch, straft ihn schon sehr
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