244 - Der dunkle Traum
Freund«, gestand er ein. »Du bist ein wahrhaftiger Mensch mit einem gesunden Gerechtigkeitssinn. Und du bist intelligent! Wenn man ihrem Handeln eine innere Logik vermittelt, sind intelligente Menschen sogar einfacher zu manipulieren als Kleingeister.«
»Pah! Ein Narr bin ich!«, schnaubte Rulfan. »Der Kaiser hat mich des Palastes verwiesen, und nur Victorius ist es zu verdanken, dass man mich nicht in die Zelle neben der deinen gesperrt hat. Der Kaiser nannte mich einen Verräter – und das bin ich auch. Victorius meint zwar, Pilatre würde bald erkennen, dass auch ich nur ein Opfer in diesem Spiel war und mich auch in Zukunft hier willkommen heißen, dennoch…«
»Nein, du bist kein Narr, und ein Verräter bist du auch nicht!«, fuhr Aldous ihn an. Rulfan schien es so, als loderten die Tätowierungen auf der Haut des Schamanen auf, und er schloss für einen Moment die Augen. »Du hast richtig gehandelt. Freundschaft um jeden Preis darf es nicht geben. Man muss Stellung beziehen. Du warst ein fruchtbarer Nährboden. Ich habe das Chaos in dir geordnet, indem ich dich dazu brachte, dich auf deine Bedürfnisse zu besinnen. Glaube mir, Rulfan, ich ließ nur das wachsen, was sowieso schon da war.«
»Ja, und ich wurde selbstmitleidig und du hast mich aufgefangen. Selbstmitleidig, weil ich erkannte, dass ich kein Held, sondern ein fehlerhafter Mensch bin…«, antwortete Rulfan, und aus seinen Worten sprach eine gehörige Portion Zynismus.
»Fehlerhaft wie wir alle, Rulfan.«
»Und es war ein Fehler, dir zu vertrauen.«
»Ja, das war es wohl. Aber du musst deswegen nicht hadern. Du hast dich verhalten wie jeder Mensch, der das Gefühl hat, ihm höre jemand zu; jemand, dem er sich öffnen kann. Das, Rulfan, wünschen sich die meisten von uns, und dieses Bedürfnis habe ich befriedigt.«
»So ist es… und ich übernehme die Verantwortung für mein Verhalten.«
»Ganz so, wie es ein anständiger Mensch tut.« Aldous nickte zufrieden. »Du denkst, deine letzte Heldentat läge knapp ein Jahr zurück, aber das stimmt nicht. Du hast dich gegen meine Beeinflussung gewehrt, und deine starke Persönlichkeit hat den Sieg davongetragen. Du bist deinen Werten treu geblieben. Letztendlich hast du deine Freunde nicht verraten. Ich habe es im selben Moment gewusst, als ich neben dir stand und durch die Scheibe blickte, kurz bevor ich die Sache in die Hand nahm. Ich habe gespürt, dass du mir entglitten warst und dass alle meine Bemühungen dich nicht mehr beeinflussen konnten. Das, Rulfan, war vielleicht die größte Heldentat in deinem Leben!«
Im Gefängnis der Polizeistation auf Wimereux-à-l’Hauteur kehrte Stille ein.
»Gestatte mir noch eine Frage…«, fragte Aldous dann. »Hast du Verständnis für mich? Verständnis dafür, dass ich unsere Freundschaft ausnutzte?«
»Freundschaft?«
»Urteile nicht vorschnell! Denke nach, Rulfan…«
Der Albino legte seine Stirn an die kühlen Gitterstäbe. Er nickte unmerklich und blickte auf. »Ja, Aldous… ja, ich habe Verständnis für dich. Mehr als ich wahrhaben will. Dennoch glaube ich, dass nicht jedes Ergebnis alle Mittel rechtfertigt. Wer auf Rache sinnt, Aldous, der reißt seine eigenen Wunden auf. Sie würden heilen, wenn er es nicht täte…«
»Und doch ist Rache auch eine Art wilder Gerechtigkeit, nicht wahr?«, antwortete Aldous, und sein Gesicht verzerrte sich.
»Das mag sein…«, murmelte Rulfan nachdenklich.
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte der Alte nach einer Weile.
»Ich werde nach Taraganda zurückkehren.«
»Willst du wirklich den Rest deines Lebens im Dschungel leben?«
»Um ehrlich zu sein… ich weiß es nicht. Die Erfahrung, die ich hier gemacht habe, wird möglicherweise einiges in meiner Zukunft ändern.«
»Lebe wohl, Rulfan!«
»Ja, Aldous, lebe auch du wohl. Vielleicht lässt man dich bald gehen. Schade, dass es dir im Grunde nichts nutzt – denn eingesperrt bist du sowieso. Gefangen in deinen Rachegedanken, die dir den Blick in die Zukunft verwehren.«
Tränen liefen über die faltigen Wangen des Alten.
»Man mag über dich denken wie man will«, sagte Rulfan. »Du hast mir für manches die Augen geöffnet. Du hast mit mir gespielt, aber ich war ein bereitwilliger Partner. In gewisser Weise, warst du…«, Rulfan lachte hart, »… tatsächlich mein Meister.« Damit drehte er sich wortlos um, ging an den Wachen vorbei und verließ das Gefängnis.
Heller Sonnenschein blendete ihn. Er straffte sich, strich sich durch die Haare
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