Das Osterman-Wochenende - Ludlum, R: Osterman-Wochenende
1.
Saddle Valley, New Jersey, ist ein Dorf.
Zumindest fanden die Immobilienmakler und Bauträger ein Dorf, als sie Ende der dreißiger Jahre, von Alarmsignalen aus einem zerbröckelnden Manhattan der oberen Mittelklasse aufgeschreckt, in seine bewaldeten Gefilde eindrangen.
Die weiße, wappenförmige Tafel an der Valley Road trägt die Aufschrift
SADDLE VALLEY
GEGRÜNDET 1862
Willkommen
Das >Willkommen< ist kleiner geschrieben als die Worte davor, denn in Wirklichkeit sind in Saddle Valley Fremde gar nicht willkommen, Fremde, wie jene Sonntagsausflügler, die den Dorfbewohnern gerne bei ihren sonntäglichen Vergnügungen zusehen. Am Sonntagnachmittag patrouillieren zwei Polizeiwagen aus Saddle Valley die Straßen.
Man könnte vielleicht noch feststellen, daß das Schild nicht lautet
SADDLE VALLEY, NEW JERSEY
oder gar
SADDLE VALLEY, N.J.
sondern nur
SADDLE VALLEY
Das Dorf akzeptiert keine höhere Autorität; es ist sein eigener Herr. Isoliert, sicher, unverletzbar.
An einem nicht weit zurückliegenden Sonntagnachmittag im Juli wirkte einer der beiden Streifenwagen aus Saddle Valley besonders gründlich. Der weiße Wagen mit den blauen Streifen rollte ein wenig schneller als gewöhnlich über die Straßen. Er fuhr von einem Ende des Dorfes zum anderen, drang in die Wohngebiete ein, auch hinter die geräumigen, geschmackvoll gestalteten Grundstücke, von denen jedes einen Acre 1 groß war.
Dieser Streifenwagen fiel an diesem besonderen Sonntagnachmittag einigen Bewohnern von Saddle Valley auf.
Das sollte er auch.
Das gehörte zu dem Plan.
John Tanner, bekleidet mit alten Tennisshorts, dem Hemd von gestern und Turnschuhen ohne Socken, war damit beschäftigt, seine Doppelgarage auszuräumen und hörte dabei mit halbem Ohr auf die Geräusche, die vom Pool herüberdrangen. Sein zwölfjähriger Sohn Raymond hatte Freunde zu Besuch, und Tanner ging immer wieder mal weit genug in die Einfahrt hinein, um am Hinterhof vorbei zum Pool zu sehen und sich zu vergewissern, daß bei den Kindern alles in Ordnung war. Genauer gesagt, er ging nur dann hinaus, wenn das Geschrei auf normale Gesprächslautstärke zurückging – oder wenn es gar eine Weile still war.
Tanners Frau Alice kam mit nervtötender Regelmäßigkeit durch den Hausarbeitsraum in die Garage, um ihrem Mann zu sagen, was er als nächstes wegwerfen sollte. John warf ungern etwas weg, und die daraus folgende Ansammlung von Kram brachte sie zur Verzweiflung. Diesmal deutete sie auf einen zerbrochenen Grassammler, der seit Wochen hinten in der Garage gelegen hatte.
John bemerkte ihre Geste. »Ich könnte ihn ja auf ein Stück Schmiedeeisen montieren und ihn dem Museum of Modern Art verkaufen«, sagte er. »Überreste vergangener Ungerechtigkeiten. Vor-Gärtner-Periode.«
Alice Tanner lachte. Ihr Mann stellte wieder einmal fest, wie er das schon seit so vielen Jahren tat, daß es ein hübsches Lachen war.
»Ich leg’ ihn neben die Einfahrt. Die holen das Zeug montags ab.« Alice griff nach dem Relikt.
»Schon gut. Ich mach’ das schon.«
»Nein, machst du nicht. Du überlegst es dir auf halbem Wege anders.«
Ihr Mann hob das Gerät über einen Briggs-and-Stratton-Rasenmäher, während Alice sich an dem kleinen Triumph vorbeischob, den sie stolz als ihr >Statussymbol< bezeichnete. Als sie anfing, den Grassammler die Einfahrt hinunterzurollen, fiel das rechte Rad ab. Beide lachten.
»Jetzt wär’ der Handel mit dem Museum perfekt. Das Ding ist unwiderstehlich.«
Alice blickte auf und hörte zu lachen auf. Vierzig Meter entfernt vor ihrem Haus rollte langsam der weiße Streifenwagen den Orchard Drive hinunter.
»Heute nachmittag kümmert sich die Polizei aber gründlich um die Bauern«, sagte sie.
»Was?« Tannerhob das Rad auf und warf es in die Abfalltonne.
»Saddle Valleys Stolz ist bei der Arbeit. Das ist jetzt das zweite- oder drittemal, daß die durch den Orchard Drive fahren. « «
Tanner blickte dem Streifenwagen nach. Der Fahrer, Officer Jenkins, erwiderte seinen Blick. Er winkte ihm nicht zu, auch keine Grußgeste. Nichts. Dabei waren sie miteinander bekannt, wenn nicht gar Freunde.
»Vielleicht hat der Hund letzte Nacht zu viel gebellt.«
»Unser Babysitter hat nichts gesagt.«
»Für einen Dollar fünfzig die Stunde kann man auch den Mund halten.«
»Jetzt solltest du das Ding wegstellen, Darling.« Alices Gedanken wandten sich von dem Polizeiwagen ab. »Ohne Rad wird das eine Arbeit für Papi.
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