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54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken

54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken

Titel: 54 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 06 - Die Kosaken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Ebenen heult. Findet man nun am Morgen, daß so ein ‚Armer‘ dagewesen ist und einmal unter Dach und Fach geschlafen hat, so ist man ganz glücklich darüber.
    Freilich müssen die Flüchtlinge gar vorsichtig sein, denn es passiert auch, daß schlechte Menschen sie durch dieses Fenster anlocken und sodann festhalten, um sie der Polizei zu übergeben. Ein solcher Verräter wird aber so allgemein verachtet, daß es ihm in Zukunft nicht leicht wird, sich unter anderen Menschen sehen zu lassen. – – –
    Da, wo der Mückenfluß, von Osten kommend, sich in den Baikalsee ergießt, treten die den See umgebenden Berge weit auseinander und bilden eine Ebene, die, rings von Höhen eingeschlossen, vor den verderblichen Stürmen geschützt ist. Darum ist sie sehr fruchtbar, und es gedeihen da Pflanzen, die sogar in südlicheren Gegenden nicht vorkommen.
    Die Ebene bildet ein Dreieck, dessen Grundlinie nach dem Inneren des Landes gerichtet ist, während die Spitze als enger Felsenpaß nach dem See führt.
    Ungefähr eine halbe Werst, also zehn Minuten weit vom Ufer entfernt, lag ein ansehnlicher Komplex von meist aus Holz gebauten und nur aus dem Erdgeschoß bestehenden Häusern. Diese Gebäude hätte man in Deutschland als einen bedeutenden Meierhof bezeichnet. Ringsum breiteten sich Felder und saftige Grasflächen aus, auf denen Pferde, Rinder und Schafe weideten. Alles hatte den Anstrich einer in dieser Gegend seltenen Wohlhabenheit.
    Das schmuckste der Gebäude war das Wohnhaus, dessen Fenster sogar mit Glasscheiben versehen waren. Einige hohe, dichtbelaubte Bäume beschatteten das niedrige Dach.
    Unter diesen Bäumen, im Schatten derselben, saßen mehrere Mädchen, fleißig die Räder drehend, um das landesübliche Gespinst zu fertigen.
    Blickte man sie aufmerksamer an, so kam man sehr bald zu der Ansicht, daß die eine von ihnen, die hübscheste, die Herrin sei, während die anderen jedenfalls zum Gesinde gehörten.
    Das hübsche Kind, dessen Züge auf eine westliche Abstammung deuteten, war Mila Dobronitsch, die Freundin Karpalas.
    Hätte sie gestanden, so hätte man ihre hohe, schlanke und doch volle Gestalt besser betrachten können. Ihr rosiges Gesichtchen war von einer Fülle hellblonder Flechten umrahmt, wie man sie in dieser Färbung am häufigsten in Estland findet. Sie trug einen roten, kurzen Rock und ein schwarzes, mit Stahlschnallen versehenes Mieder, aus dem der Brustteil und die kurzen Ärmel des Hemds schneeig hervorblicken.
    Trotz der Emsigkeit, mit der diese Mädchen arbeiteten, war eine sehr angeregte Unterhaltung im Gange. Es schien, als ob die roten Lippen sich ebenso fleißig bewegten wie die Spinnräder.
    Mila saß etwas seitwärts von den anderen. Sie als Herrin beteiligte sich an dem Gespräch nur in der Weise, daß sie hier und da eine an sie gerichtete Frage freundlich beantwortete, denn sie war innerlich wohl ernster angelegt als die anderen. Da hörte sie in einem Augenblick, in dem ganz zufällig das Summen der Räder verstummte, zwei von den Mägden flüstern. Die eine sagte:
    „Bitte sie nur! sie wird es tun. Es ist ihr Lieblingslied, und wir singen mit.“
    Mila hatte das wohl gehört, sie wandte sich den beiden zu.
    „Ja“, sagte sie. „Beim Spinnen soll man singen, weil da die Arbeit doppelt schnell vonstatten geht. Also hört!“
    Und sie sang mit einer schönen, schmelzenden Altstimme:
    „Auf, tanze, mein Rädchen!
Noch fehlt im Gespinst
Manch seidenes Fädchen
Zum vollen Gewinst.
 
    Noch fehlt es an Linnen
In Mütterleins Schrein;
Drum mußt du, lieb' Rädchen,
Recht lustig heut' sein.“
    Die anderen wiederholten zweistimmig die letzten vier Zeilen, und dann fuhr Mila fort:
    „Dich drehet behende
Mein flüchtiger Tritt;
Gedanken ohn' Ende,
Sie drehen sich mit.
    Und lustige Liedchen
Verkürzen die Zeit –
So spinn ich mein Fädchen,
Mein linnenes Kleid.“
    Auch hier wurden die letzten vier Zeilen wiederholt. Die nächste Strophe lautete:
    „Ohn' Unterlaß gleiten
Die Fädchen geschwind;
So eilen die Zeiten;
Die Sanduhr verrinnt.
    Das Leben entschwindet
Im Fluge dahin,
Und nur für den Fleißigen
Bringt es Gewinn.“
    Gerade als die Wiederholung hier eintreten sollte, schrie eine der Mägde laut auf und deutete vorwärts nach dem Brunnen, der von drei Seiten von einer schattigen Buchenhecke umgeben war.
    „Was gibt es denn da zu erschrecken?“ sagte Mila. „Am hellen Tag! Es wird ein Vogel gewesen sein. Laß uns das Lied zu Ende singen.“
    Sie begann darauf die

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