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73 - Der Dukatenhof

73 - Der Dukatenhof

Titel: 73 - Der Dukatenhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Musterwirt. Sie dachte an die süßen, zarten Rüben und leckte ihm dankbar die Hand. Vielleicht dachte sie gar auch an den sonderbaren Kuß! Der Lehrer beobachtete ihn heimlich, aber scharf. Denn wenn irgend noch jemals, so mußte die Verwandlung jetzt vor sich gehen.
    Herr Frömmelt zog erst die Hand zurück. Auch vermied er es, der Anna in die Augen zu sehen. Es wurde dabei gleichgültiges gesprochen. Bald aber reichte er dem Karlinchen die Hand wieder hin. Dann streichelte er sie. Er wich dem Blick der Anna nicht mehr aus. Er begann sogar, ihre Augen zu suchen. Die seinen bekamen nach und nach ein milderes, freundliches Licht. Er lächelte. Hierauf kam sogar ein Scherz. Er ging zur Anna hin und faßte ihre Hand. Nach kurzem zog er sie näher an sich heran. Und endlich ließ er ein fröhliches Lachen hören und sprach:
    „Warum stehen wir da vor dem Brückle, als ob wir nicht alle hinübergehörten? Gehen wir doch hinauf nach dem Häusle! Komm, liebe Anna, komm! Dort färbt die Sonne schon die Wolken rot und gibt ihnen goldene Ränder. Ich will sie hier noch einmal untergehen sehen!“
    Er führte sie hinauf. Die anderen folgten. Droben setzte man sich an den Tisch. Niemand sprach. Er schaute beharrlich nach dem purpurnen Westen. Die anderen hatten alle ein unbestimmtes Gefühl, daß sie ihn nicht durch Worte stören dürften. Bei dem Lehrer kam hierzu noch die Überzeugung, daß er jetzt den Neubertbauer vor sich habe, vielleicht zum letzten Mal. Wie sonderbar, daß dieser sich grad jetzt zu ihm herumdrehte und ihn fragte:
    „Für wen halten Sie mich? In diesem Augenblick?“
    „Nicht für den Musterwirt“, antwortete der Gefragte, in dem etwas aufstieg, was ihn zwingen wollte, den Frager zu umarmen und an das Herz zu drücken. Er begnügte sich aber damit, ihm nur die Hand hinüberzureichen. Der Wahnsinnige griff nach ihr, hielt sie fest, und schaute wieder nach dem Abendrot und sprach:
    „Also sind Sie nicht mehr irre, Herr Lehrer! Sie haben gesagt, ich spreche ganz anders wie der Neubertbauer und sogar noch besser wie der Musterwirt. Das ist doch selbstverständlich! Der Geist hat keine Grenzen, hat weder Konturen noch Linien. Der Geist ist keine Figur. Er ist Kraft, Gesetz und Wille. Das aber sind Dinge, die ineinanderfließen, wenn es gilt, eine Wirkung zu erreichen. Dem Musterwirt mußte der Neubertbauer gegenüberstehen. Das war aber nur der äußere Behelf. Hinter diesem Namen aber gab es noch etwas ganz anderes. So sehen Sie da drüben Wolke an Wolke, Farbe an Farbe, Hauch an Hauch. Hinter dem allen aber steht die Sonne. Sie scheidet. Sie hat ihr Tagewerk vollbracht.“
    Er gab die ergriffene Hand wieder frei, stand auf, küßte Anna auf das Haar, legte ihr die Hände auf das Haupt und sprach weiter:
    „So gehe nun auch ich. Mein Kind, wenn dich die Sehnsucht nach mir überkommt, so wird es dir von morgen mittag an unmöglich sein, mich aufzusuchen. Gehe auch nicht an mein Grab. Ich bin nicht dort. Gehe zum Herzle! Nur da, wo du Liebe findest, kann ich bei dir sein, obgleich du mich nicht siehst. Sonst nirgendwo! Jetzt scheiden wir. Du und ich. Für dieses Mal. Ich bleibe hier. Denn ich habe hier noch der Musterwirt zu sein – hier dieser Körper. Du aber begibst dich zur Frau Pfarrerin. Bete mit ihr morgen mittag für ihn – für den Musterwirt. Er wird es nötig haben!“
    Es wurde ihr schwer, zu gehen. Aber sie gehorchte. Sie weinte dabei. Er strich sich mit der Hand über die Augen und wendete sich ab, um ihr nicht nachzusehen. Sein Blick war jetzt wieder dorthin gerichtet, wo die Abendröte nun sehr schnell erbleichte. Der Lehrer beobachtete ihn mit der größten Spannung, in der er sich jemals befunden hatte. Nun mußte es sich ja zeigen, ob Wahnsinn oder nicht!
    Nach einer Weile zuckte der Wirt zusammen, als ob er wie aus einem Schlaf erwache. Er drehte sich um, sah, bei wem er sich befand, erschrak und rief ängstlich aus:
    „Auf dem Damenbergle! Bei der Marie und beim Herzle! Das Brückle ist doch die Grenze! Soeben stand ich noch unten! Ich sollte herauf, konnte aber nicht! Ich will fort, fort, fort – denn hier muß mich der Neubertbauer packen!“
    Er schob zurück, was ihm im Weg stand, um sich schleunigst zu entfernen. Da sprang der Lehrer auf, hielt ihn fest und sagte:
    „Bleiben Sie hier, Herr Frömmelt! Soeben hat der Neubertbauer seiner Tochter anbefohlen, morgen mittag für Sie zu beten! Er hat von ihr Abschied genommen und wird nicht wiederkommen. Denn Sie haben die

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