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911 - Der Tag, die Angst, die Folgen

Titel: 911 - Der Tag, die Angst, die Folgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Greiner
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Niemand sagt, ‹diese Berichte haben überhaupt keine Grundlage›.»[ 2 ] Wie hätte es auch anders sein sollen angesichts von verängstigten Meinungsmachern und Politikern, die ihrerseits die Ängste der Anderen für eigene Zwecke ausbeuteten? Auffällig oft warnte das Weiße Haus ausgerechnet während des Wahlkampfes 2004 vor erhöhter Terrorgefahr; und 2008 versuchte auch Hillary Clinton, während der Vorwahlen auf Kosten von Barack Obama mit Angst Politik zu machen: «Wem würden Sie mehr vertrauen, wenn nachts um drei das Telefon klingelt?»
    Schon jetzt eine umfassende Geschichte dieses nervösen Jahrzehnts schreiben zu wollen, wäre ein vermessener Anspruch. Trotzdem ist die Zeit für eine erste Bilanz über die Hintergründe und Folgen des 11. September 2001 gekommen. Ausgerechnetüber die Administration George W. Bush, die sich hermetisch gegenüber der Außenwelt abzuschotten versuchte, drang noch während ihrer Amtszeit ungewöhnlich viel nach außen. Von Finanzminister Paul O’Neill über den Koordinator der Anti-Terrorpolitik, Richard Clarke, bis zum ehemaligen Botschafter Joseph Wilson und weniger bekannten Mitarbeitern von Ministerien quittierten Dutzende den Dienst und gaben Interna preis – in der Regel nicht wegen gekränkter Eitelkeit, sondern aus Sorge um den Kontrollverlust innerhalb des politischen Systems und mithin über den Zustand der Demokratie in ihrem Land. Allen Unkenrufen über den Niedergang ihres Genres zum Trotz leisteten auch investigative Journalisten – vorweg Seymour Hersh, Dana Priest, Barton Gellman und Ron Suskind – einen unverzichtbaren Beitrag. Ihnen, der Initiative von Hinterbliebenen der Anschlagsopfer in New York und Washington sowie Anwälten und Bürgerrechtsorganisationen, die sich um Häftlinge in Guantanamo kümmern, ist die Freigabe Hunderter von Akten zu verdanken, die ungewöhnliche Einblicke in die Arbeit der Regierung, des Pentagon und der Geheimdienste bieten. In der vom Kongress bestellten Untersuchungskommission zu den Hintergründen von «9/11» wurden zahlreiche dieser Dokumente penibel ausgewertet, John Ehrenberg, Karen Greenberg und John Prados haben einschlägige Editionen vorgelegt. Die umfangreichste Quellensammlung indes steht im Internet zur Verfügung, aufgearbeitet von Historikern des «National Security Archive». Diese an der George Washington University angesiedelte gemeinnützige Organisation ist für Zeithistoriker mittlerweile unumgänglich; sie genießt zu Recht den Ruf, ihre umfangreichen, bis zum Zweiten Weltkrieg zurückreichenden Bestände nach den Maßstäben professioneller Archivare zu pflegen. Herkunft, Kontext und Wirkungsgeschichte der Quellen sind nachvollziehbar, elektronische Findbücher erleichtern die Recherche. Fortlaufende Ergänzungen ermöglichen überdies eine kontinuierliche Ergänzung oder Korrektur bereits vorhandenen Wissens.
    Aufgrund dieses vielfältigen Materials lassen sich auch die «weißen Flecken» in der Geschichte des 11. September 2001 kartographieren,jene Bereiche also, die künftig für ein besseres Verständnis der Ereignisse bearbeitet werden sollten. In diesem Sinne kann das vorliegende Buch zugleich als Beitrag zur Diskussion von Fragen verstanden werden, die sich aus der Geschichte von «9/11» aufdrängen, aber keineswegs nur von historischem Interesse sind – Fragen zur Außen- und Militärpolitik, zu Bündnisbeziehungen, zum internationalen Völker- und Kriegsrecht und vor allem zur Art und Weise, wie Demokratien mit realen oder imaginierten Gefahren umgehen und welchen Preis sie für den Ausnahmezustand zahlen.
    Gerade die Vorgeschichte der Anschläge spielt, sei es hintergründig oder explizit, in tagespolitischen Debatten eine herausragende Rolle. Die Behauptung, dass religiös motivierter Terror und Religionskriege im Namen Allahs die größte Gefahr für Freiheit und Zivilisation sind, steht wie ein Glaubensbekenntnis im Raum, eingängig wegen der radikalen Reduktion von Komplexität und tröstend zugleich, weil es den Blick auf irritierend andere Facetten erspart. Zieht man demgegenüber Studien zu Selbstmordattentätern im Allgemeinen und zu Al-Qaida im Besonderen zu Rate, macht das Bild der von glühender Religiosität getriebenen Fanatiker kaum noch Eindruck. Stattdessen gewinnen weltliche, säkulare Elemente an Kontur: soziale Entwurzelung, Enttäuschung, Demütigung, Bindungslosigkeit, verletztes Ehrgefühl, Wut und Zorn über nationale Erniedrigung, Rache für die Opfer von

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