Ab ins Bett!
mehr.«
Offenbar will sie nicht erklären, warum, was ich wieder mal als Zeichen dafür nehme, wie wenig ich ihr Vertrauter bin. Statt dessen rückt sie ihren Stuhl rechtwinklig zu meinem und gießt sich ein Glas Orangensaft ein: Ihre Nähe und die Tatsache, daß ich allein mit ihr im Haus bin, ist wie statische Elektrizität. Dann sagt sie: »Gabe...«
Und ich halte den Atem an. Ich bin doch derjenige, der herkam, sich zu erklären.
»Ja?« sage ich nach ein kurzem Schweigen, in dem ich überlegte: Kann es sein, daß sie es schon weiß?
»Es tut mir leid wegen Dina.«
»Oh«, sage ich und sacke sichtlich zusammen. »Ja, mir auch.«
»Ich glaube, Ben und ich waren nicht gerade hilfreich.«
»Naja...«
»Nein, wirklich. Es war dumm von uns. Wir hatten irgendwie ein komisches Gefühl bei der Sache - warum, weiß ich auch nicht mehr. Ich glaube, wir haben ziemlich gesponnen, waren ein bißchen paranoid. Und als sie bei uns wohnte, haben wir sie wohl ziemlich unter Druck gesetzt.« Sie guckt mich zerknirscht an. Ich mache ein aufmerksames Gesicht, damit sie mir nicht anmerkt, wie ich in unserer Intimität schwelge. »Ich weiß nicht, vielleicht ist sie deswegen nach Amerika zurück...«
»Dann hat sie nicht mit dir darüber gesprochen...«
»Nicht richtig.« Sie seufzt, ein vibrierendes Hauchen, bei dem ich zerfließe. »Ich hab ziemlich dran zu knabbern, daß sie weg ist. Vielleicht hat sie’s dir ja erzählt, daß wir jahrelang unsere schwesterlichen Probleme hatten. Und als sie aus Amerika zurückkam, war’s fast noch schlimmer als früher. Wir gingen uns wirklich auf die Nerven. Aber in letzter Zeit hatte ich das Gefühl, wir würden uns besser verstehen — als sie ausgezogen war, wir uns nicht dauernd auf der Pelle hingen, und ich und Ben endlich akzeptierten, daß ihr zwei ein Paar seid ...« Sie verstummt und hebt ihr Glas Orangensaft mit beiden Händen an die Lippen. Ich sage überhaupt nichts.
»Aber dann«, fährt sie fort und stellt das Glas wieder ab, »als sie sagte, sie ginge zurück, da machte sie mir gegenüber wieder total zu. Erklärte mit keinem Wort, warum. Ich sagte ihr, daß ich wirklich glücklich wäre, wenn sie bliebe, aber...«, Alice zuckt die Achseln, »das schien ihr völlig egal zu sein.«
Ihr Gesicht, das mich jetzt fragend aus dem Rahmen schwarzer Locken anguckt, ist wie das genau und präzise nach den Informationen meines Herzens gezeichnete Phantomfoto von ihr. Sie sieht müde aus, was aber vielleicht nur daran liegt, daß sie kein Makeup aufgelegt hat; sogar Alice schminkt sich, was genau sie verbessern will, weiß ich wirklich nicht. Müde auszusehen ist für mich kein Makel, eher ein Seinszustand.
»Möchtest du darüber sprechen?« fragt sie und reißt mich aus meiner träumerischen Versunkenheit in ihr Gesicht. Die Erinnerung an meine Liebe zu Dina flattert wie eine Motte gegen das Strahlen von Alices Schönheit.
»Nein. Ja. Na ja — ich weiß nicht, was es da zu sagen gibt. Es hat einfach nicht geklappt. Du brauchst dir wirklich keine Vorwürfe zu machen.« Vielleicht sollte sie doch, sage ich mir, wäre gar nicht schlecht, wenn sie sich in meiner Schuld fühlt. Alice lehnt sich zurück, streckt ihre schlanke, grazile Hand hoch und legt sie sich an den Nacken, für den ich keine Adjektive habe, keins würde genügen.
»Ich weiß, du glaubst, Ben und ich streiten nie«, sagt sie, von wegen nichts, wobei sie mich mit ihren großen Augen forschend ansieht. »Aber wir haben unsere Kämpfe. Vor kurzem waren wir an einem Punkt, wo’s ziemlich schlimm war.«
Alice meint wohl, daß wir hier auf einer Art persönlichem
Informationsaustausch-Meeting sind. Wahrscheinlich glaubt sie, wenn sie sich mir mehr öffnet als sonst, würde ich ihr zum Schluß erzählen, warum Dina ging. Vielleicht will sie auch einfach reden. Aber mich drängt es zu dem in ihrem Mohairpullover verschlossenen Himmel.
»Ja, ich hatte auch das Gefühl, daß es zwischen euch nicht mehr... wie früher war«, sage ich nickend.
Alice guckt überrascht, als hätte sie nicht erwartet, daß sie und Ben so durchschaubar sind, aber sie weiß ja nicht, wie gründlich sie angeschaut wurde; vielleicht ist sie auch ein bißchen enttäuscht, vom Geheimnisaustausch-Standpunkt aus. Sie beugt sich vor, stützt die Ellbogen auf den Tisch und streicht sich mit beiden Händen das Haar aus der Stirn: die Laß-uns-ernsthaft-miteinander-reden-Pose, wenn es eine gibt. Ihr Haar fließt durch ihre Finger wie schwarzer
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