Ab ins Bett!
Augen. Ich schiebe mein Gesicht an Alice vorbei direkt vor seins — verdammt, er riecht furchtbar —, aber er beachtet mich gar nicht: Von weitem muß es aussehen, als suche ein Halbstarker Streit mit einem Fremden.
»Hör mal, Nick, du bist bestimmt unterkühlt, wenn du so lange im Wasser warst. Komm, ich bring dich ins Krankenhaus«, sage ich und will ihn zur Tür rausschieben, aber er packt mich an den Handgelenken und stößt mich mit seiner ganzen verrückten Kraft zurück.
»Sie muß die Wahrheit wissen, Gabriel. Ich muß es ihr sagen!« Und ich sehe ein, daß ich ihn nicht daran hindern kann. Als ich hilflos zu Alice hingucke, sagt mir ihr Gesicht, daß ich die Chance vertan habe, daß sie, was immer Nick ihr sagt, als verrückten Unsinn abtut. Mein gewaltsamer und unmißverständlicher Versuch, ihn am Reden zu hindern, wird seinen Worten das Glaubwürdigkeitssiegel aufdrücken.
»Was willst du mir sagen, Nick?« fragt sie sanft, mit einer so alicigen Stimme wie noch nie.
Ihr Gesicht ist gefaßt, gerüstet und gewappnet für alles, außer, nehme ich mal an, der Neuigkeit, daß ihr Mann eine Affäre mit der Flihippie hatte.
»Gabriel ist verliebt in dich«, sagt Nick. »Seit dem ersten Augenblick, als er dich sah.«
Und endlich wendet er den Kopf, und unsere Augen verhakeln sich, was mir vorkommt wie eine sadistische Parodie meiner verpaßten Millionstelsekunde vorhin in der Küche. Und ich bemerke etwas in Nicks Augen, das ich noch nie darin gesehen habe, nicht mal ehe er die Killaknospen rauchte — einen so hellen Verstand, wie er letzten Endes vielleicht doch um die Ecke vom Wahnsinn liegt. Nick will sich nicht rächen, hat nicht vor, es mir heimzuzahlen, daß ich ihn für meine eigenen Zwecke ausnutzen wollte. Er will mir helfen, mich ein für allemal von meinem ewig glühenden Tumor kurieren. Ist das also das Heilmittel für Verrücktheit? Kein Chlorpromazin, keine Therapie, keine Elektroschocks, sondern ein Tauchbad in kaltem Wasser an einem heißen Tag?
In meinen Ohren dröhnt es. Boom. Boom. Nicht laut, sondern wie der ferne Donner um Schützengräben, in den sich plötzlich ein anderer Laut mischt, der wie plätscherndes Silber klingt, Alices Lachen. Ich sehe sie an, wie sie das Gesicht zurückgeworfen hat, wie berauschend schön es trotz des aufgerissenen Munds ist. Noch habe ich die Gelegenheit umzukehren, in meine Koordinaten einzuspringen. Ich brauche nur mit ihr zu lachen.
Aber darauf scheiße ich.
»Ja, es stimmt«, sage ich. »Ich bin verliebt in dich.«
Schlagartig hört sie zu lachen auf. In Zeitlupe, Zug um Zug, stellt sich ihr Gesicht wieder auf Ernsthaftigkeit ein, und auf mich.
»Was kann ich dafür?« sage ich und spüre, wie mir die Worte aus einem sehr zentralen Punkt in meinem Innern kommen. »Du hast meinen Bruder zuerst kennengelernt, was schließlich reiner Zufall war, oder nicht? Auf einem Spaziergang im Park, einer Party, zu der du dich in letzter Minute aufgerafft hast, bist du ihm begegnet. Wärst du woanders hingegangen, hättest du vielleicht mich getroffen. Aber damit war alles entschieden. Als du vor drei Jahren in dein Tagebuch schriebst — >Spaziergang im Park< — >War auf dieser Party<, du hättest grad so gut reinschreiben können >Ende allen Glücks für jemand, den ich noch nicht kenne<.«
Alice hat den Blick gesenkt, feine Linien überziehen ihre Stirn. Ich habe das Gefühl, daß es wohl besser wäre, ich ginge jetzt. Nick hat sich mit dem Arm am Türrahmen abgestützt und guckt diskret weg. Das war natürlich nicht ganz das, was ich eigentlich hatte sagen wollen; aber das passiert eben, wenn die Dinge eine unerwartete Entwicklung nehmen.
»Das ist übrigens der Grund, warum Dina mich verlassen hat«, sage ich finster entschlossen und gucke zur Tür hinaus auf die aufflackernden Straßenlaternen.
Wollte ich wirklich reinen Tisch machen, würde ich ihr auch sagen, daß Dina schwanger ist, aber ich finde, das ist Dinas Sache, während dies hier nun wirklich meine ist. Alice hebt den Kopf, guckt mir und der neuen Tatsache ins Gesicht. »Hast du es ihr gesagt?«
Ich denke einen winzigen Moment nach. »Jaah. Im Prinzip schon.«
»Gabriel...«, sagt sie in einem »Wie kann ich dir nur helfen«-Ton.
Ich wedele mit der Hand. »Nein, ehrlich, Alice. Mach dir keine Sorgen.« Ich will ihr Mitleid nicht. Ich weiß, das ist ein schlapper Gedanke, aber ich bin schlapp, entsetzlich müde. Ich lege meine Hand an ihre Wange, und sie preßt sie dagegen wie einst
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