Abendfrieden
Kopf zentimeternah über dem Teller, die Unterarme auf den Tisch gelegt.
Werner Danzik schenkte den Riesling ein. »Zum Wohl!«
»Prost!« Gerda Danzik kippte, die Faust ums Glas geschlossen, mit vollem Mund den Wein runter und stieß geräuschvoll mit ihm an. Laura und Danzik ließen ihre Gläser aneinander klingen, dann hielt Laura der Alten ihr Glas entgegen. Aber die setzte ihres schnell ab und beugte sich wieder über den Teller.
Danzik stellte die Schalen mit dem Krabben-Cocktail hin. »Bitte, Laura, fang an.«
Er lehnte sich zurück. Die Scham über seine Mutter krümmte ihm den Magen zusammen. Er hatte das Gefühl, als würde er von diesen Köstlichkeiten keinen Bissen essen können, als lösten sie in ihm ein unbezwingbares Würgen aus. Er schluckte trocken. Ja, schlucken. Wie würde Laura das schlucken, dieses unsägliche Schauspiel, das seine Mutter bot?
Die Alte hielt, auf die Ellbogen gestützt, Messer und Gabel hochkant. »Sie sind geschieden, oder?«
»Ja.«
»Mein Sohn ja auch. Leider. Dabei hatte er eine ganz entzückende Frau. So was von patent und hilfsbereit. Egal, was ich für Probleme hatte, ob mit dem kaputten Wasserhahn oder mit meinen Einkäufen, immer hat sie mir geholfen.« Gerda Danzik seufzte befriedigt. »Noch jetzt geht sie regelmäßig mit mir zum Kaffee trinken. In die Konditorei Andersen. Da kommt sie extra nach Wandsbek rausgefahren.«
»Schön, wenn sich so was hält.«
»Ja, nicht? Eine ganz Tüchtige ist das. Arbeitet im Reisebüro, bei Hapag Lloyd am Mittelweg. Sie sind Akademikerin, oder? Wie hieß noch gleich dieser Titel –«
»Laura hat den Magister«, sagte Danzik schroff. »Aber ich glaube nicht, dass dir das ein Begriff ist.«
Er hatte nun doch mit den Krabben begonnen, seine Kiefer mahlten, als wolle er nicht nur die Tierchen zermalmen. »Ach ja. Na, jedenfalls sind Sie was Höheres. Wissen Sie, woran Sie mich immer erinnern? Sie sehen genauso aus wie die Schauspielerin Helga Feddersen.«
»Mutter!« Danzik knallte die Serviette auf den Tisch, mit der er sich gerade den Mund getupft hatte, und blickte zu Laura.
Laura lachte herzhaft. »Das ist ein Riesenkompliment, Frau Danzik. Helga Feddersen – eine so wunderbare, zutiefst menschliche Frau.«
Die alte Frau blickte irritiert und zog sich den Salat-Teller heran. Schnell hatte sie sich wieder gefangen. »Die war auch älter als ihr Mann. Älter als dieser Olli.«
»Was heißt auch?«, fauchte Danzik. Sein Gesicht, das eine grimmige Beherrschung verriet, hatte sich gerötet, und das nicht nur vom Essen und dem Wein.
Laura dagegen schien sich mehr und mehr zu amüsieren. »Das haben Sie verwechselt, Frau Danzik. Ich bin nicht älter, sondern drei Jahre jünger als Ihr Sohn.«
»Aha.« Die Alte leckte ihr Messer ab. »Na, wie auch immer. Wann läuten denn nun die Hochzeitsglocken?«
Jetzt rötete sich auch Lauras Gesicht. Volltreffer, dachte Danzik. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann Laura diesen beleidigenden Dialog beenden und aus der Wohnung laufen würde. »Du wirst von einer Hochzeit jedenfalls als Letzte erfahren!«
»Spricht man so mit seiner Mutter?« Gerda Danzik drehte sich zu Laura. »Na, ich werd’s schon erfahren. Es wird dann allerdings etwas eng hier werden. Ich habe mir gedacht, ich nehme das kleine Zimmer vor dem Schlafzimmer …«
»Sie wollen hier einziehen?« Auf Lauras Zügen spiegelte sich ungläubiges Erstaunen.
Danzik knüllte in einem letzten Akt der Kontrolle seine Serviette zusammen. Er fühlte den Impuls, seiner Mutter ins Gesicht zu schlagen. Stattdessen knirschte er: »Ich hol die Rote Grütze.«
»Das Dessert hat sehr gut geschmeckt, Werner.« Laura sah ihn besänftigend an. Sie senkte den Blick, als sie bemerkte, wie Gerda Danzik in den Zähnen bohrte.
Sie trug noch das Geschirr in die Küche, dann verabschiedete sie sich. »Ich weiß, es ist nicht die feine Art, gleich nach dem Dessert zu gehen. Aber ich sagte dir ja, dass ich heute noch so viel zu tun habe. Nimm es mir nicht übel, Werner.« Sie standen an der Tür, und Laura hielt ihn an beiden Händen fest. »Ciao.«
»Ciao …« Werner Danzik hörte den Nachhall seiner eigenen Stimme.
Wenig später gab er seiner Mutter Geld und setzte sie in die angeforderte Taxe. Ich habe Angst vor mir selbst, dachte er, Angst, wozu ich fähig wäre. Ich, ein Mann, der Mörder überführt.
* * *
Regine Mewes nahm den Koffer vom Band und rollte zum Ausgang. In der Ankunftshalle drängten sich die Menschen und spähten
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