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Abscheu

Abscheu

Titel: Abscheu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Verhoef
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saubere an und blicke mich noch einmal um. Mannshohe Schilfsäume, Reihen schief gewachsener Bäume und verwilderte Sträucher. Das Donnern vorbeirasender, von diesem einsamen Ort aus unsichtbarer Fahrzeuge auf der Autobahn. Keine Menschenseele weit und breit.
    Ich verrichte zahllose Handlungen, aber wie betäubt, als seien keine Gefühle mehr übrig und alle Emotionen verbraucht.
    Ich habe Marius geliebt, heiß geliebt, und meine Liebe war aufrichtig. Ja, Marius war herrisch, anspruchsvoll, kontrollsüchtig, verlogen, zwanghaft und anmaßend. Aber er war auch freigiebig, klug, loyal, liebevoll, beschützend, ein guter Liebhaber und humorvoll. Er hatte so viele verschiedene Gesichter und Talente, dass ich seiner niemals überdrüssig geworden wäre. Wir haben uns gestritten wie die Kesselflicker und uns anschließend wieder versöhnt, stundenlang, halbe Tage durchdrungen von heißer Liebe und dunklen Leidenschaften. Es wurde niemals langweilig.
    Wenn es uns durch eine seltsame Wendung des Schicksals auf eine einsame Insel verschlagen hätte, hätten wir in vollkommener Harmonie zusammen alt werden können, da bin ich mir sicher. Wir hätten einander an jedem Tag genossen, der uns geschenkt worden wäre.
    Aber wir lebten nun einmal nicht auf einer Insel.

51
    Nachdem Marius die Taschen bei mir zurückgelassen hatte, dauerte es schließlich noch über eine Woche, bevor Chris bei mir vor der Tür stand. Er hatte einen hitzigen Blick in den Augen und verhielt sich äußerst nervös und unangenehm.
    »Ich muss dir etwas erzählen«, sagte er. »Es gibt schlechte Neuigkeiten.«
    Erschrocken sah ich ihn an.
    »Marius sitzt im Knast. In Oslo. Die Küstenwache hat ihn mit ein paar Kilo Koks und einer Tasche voller Waffen erwischt.«
    Ich schlug die Hand vor den Mund. Tränen traten mir in die Augen. Ich hatte es gewusst. Schon seit Wochen hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas schiefgehen würde, dass ihm etwas Schlimmes zustoßen würde. »Weiß man schon … Wie lange es dauern wird?«
    »Du kannst ihn abschreiben, Schnucki«, sagte Chris und schüttelte traurig den Kopf. »Diese Skandinavier sind ziemlich weltfremd. Die betrachten schon einen Krug Bier als Droge … Zehn Jahre, fünfzehn.« Chris schnalzte mit der Zunge. »Marius sehen wir vorläufig nicht mehr wieder.«
    Fast unmerklich war er immer näher an mich herangerückt. Ich brauchte Trost, jemanden, der mich in den Arm nahm, und obwohl ich Chris nicht einmal mochte, suchte ich wie von selbst Unterstützung bei ihm.
    Er rieb mir über den Rücken. Flüsterte, dass alles gut werden würde, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Denn jetzt, da Marius nicht mehr da sei, würde er alles übernehmen. Müsse er ja. Es gebe ein Geschäft weiterzuführen.
    Und mich nahm er nur zu gerne unter seine Fittiche. Er würde für mich sorgen, das sei doch selbstverständlich. »Von mir aus kannst du in deinem Häuschen wohnen bleiben, Schnucki. Ich bezahle es dir. Miete, Strom und so weiter. Und dein Auto auch. Dafür komme ich dich ein paar Mal im Monat besuchen.«
    Da lagen seine Hände schon nicht mehr tröstend auf meinem Rücken. Mit einer Hand umfasste er meine Brust, mit der anderen fummelte er am Verschluss seiner Jeans herum.
    Ich blieb vor Entsetzen und Ekel stocksteif stehen, aber ich glaube nicht, dass Chris bemerkte, wie ich von innen ganz still und kalt wurde. Ich glaube nicht, dass irgendjemand es mir angesehen oder angemerkt hätte.
    Ich tat alles, was er von mir verlangte. Schweigend. Automatisch. Ich ging vor ihm auf die Knie und schloss die Augen. Danach blickte ich zu ihm auf, weil er es so wollte, aber seine ekstatische Miene nahm ich nicht bewusst wahr. Ich erkannte sie kaum noch als das Gesicht eines Mannes wieder, der jahrelang der beste Freund meines Freundes gewesen war.
    Es war das erste Mal, dass ich mich völlig vor meinen eigenen Handlungen abschotten musste. Vier Jahre Nachtklub, und noch nie zuvor war es nötig gewesen.
    Nicht in diesem extremen Maße.
    Später habe ich oft daran gedacht. Mich gefragt, warum ich alles über mich ergehen ließ. Ich hätte Chris vielleicht ablenken und flüchten können. Ich hätte ihn beschimpfen oder ihm weh tun können. Ich hätte ihm diesen widerlichen Sieg nicht zu gönnen brauchen, oder zumindest dafür sorgen können, dass seine abscheuliche Aktion für ihn wesentlich weniger angenehm und befriedigend verlaufen wäre.
    Dennoch kam ich immer wieder zu demselben Ergebnis. Widerstand hätte mir nichts

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